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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112
Autoren: Christian Seifert , Christian
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machen Sie beruflich?«
    Die Antworten sind mir völlig egal. Regina soll nur reden, muss beschäftigt werden.
    Funkruf von den Kollegen vor Ort: »Es ist stockfinster. Wir haben keine Chance, hier draußen jemanden zu finden.«
    Genau das hatte ich befürchtet.
    An diesem Punkt kann nur noch ein Hubschrauber helfen. Nach Möglichkeit einer mit Wärmebildkamera. Diese Ausstattung hat in München aber nur die Polizei. Also Anruf bei der Hubschrauberstaffel, Rückfrage bei der Polizeieinsatzzentrale. Kurze Klärung der Situation. Und dann die Entscheidung, dass der Hubschrauber uns nach Abklärung der Wetterlage unterstützen wird.
    Die Uhr tickt. Und Reginas Leben hängt allmählich am seidenen Faden. Doch meine Sorge darf sie jetzt nicht bemerken.
    »Passen Sie auf, Regina. Wir müssen jetzt unser Gespräch beenden, damit wir Ihren Handyakku schonen und die Hubschrauberbesatzung Sie telefonisch erreichen kann. Haben Sie das verstanden?«
    Dieser Gedanke scheint sie in Panik zu versetzen: »Ich will nicht auflegen. Bitte, bitte, bleiben Sie bei mir!«
    Sie schluchzt jetzt laut, sodass ich sie kaum noch verstehen kann. Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild einer hilflosen, durchnässten und verletzten Frau, die sich in völliger Dunkelheit laut weinend an ihr Handy klammert – ihre letzte Verbindung zum Leben, zu Trost und Rettung.
    »Ich muss jetzt auflegen, Regina. Der Hubschrauber ist schon in der Luft«, lüge ich, kappe die Verbindung und fühle mich hilflos. Da draußen erfriert gerade eine schwer verletzte Frau und ich kann momentan nichts für sie tun. Auch die Kommunikation mit dem Hubschrauber über Flug- und BOS-Funk funktioniert an diesem Abend aus unerfindlichen Gründen nur lückenhaft. Ich habe darum keine Ahnung, was da draußen gerade genau passiert. Also warten und hoffen. Ich gehe in die Küche, trinke einen Schluck Kaffee, schmecke nichts, setze mich wieder an meinen Funkplatz, starre auf die Uhr.
    Um 18.45 Uhr endlich die Erlösung. Eine Stunde nach ihrem Notruf wird Regina mithilfe der Wärmebildkamera geortet. Der Hubschrauber landet in nächster Nähe, ist der Leuchtturm in der Nacht für die nachfolgenden Feuerwehrkollegen und das Notarztteam, das sich ein großes Stück des Weges zu Fuß zu der verletzten Frau durchschlagen muss.
    Regina hat sich auf der Suche nach ihrem Hund im dichtesten Unterholz verirrt und beim Sturz den Unterschenkel gebrochen. Hinzu kommt eine massive Unterkühlung. Der Notarzt bestätigt später, dass die stark geschwächte 23-Jährige die nächste halbe Stunde im Wald wohl nicht mehr überlebt hätte.

Einsamkeit
    Die Einsamkeit in der Großstadt ist eine weitverbreitete, überaus schmerzhafte Krankheit. Und ich frage mich oft, wie leer das Leben all der Menschen sein muss, die in einsamen Nächten die 112 wählen – nur um überhaupt mal wieder eine freundliche Stimme zu hören. Da muss dann eben die Spinne unterm Bett, die tröpfelnde Klospülung oder die kaputte Lampe als Vorwand herhalten. Die wenigsten Menschen haben wie ich das Glück, mit meiner Familie in der Geborgenheit und Gemeinschaft eines Drei-Generationen-Hauses in der Kleinstadt leben zu dürfen. Vielleicht habe ich gerade deshalb ein Herz für die Einsamen und nehme mir nach Möglichkeit auch gern ein wenig Zeit für meine »Kaffeekränzchen-Connections«, wie ich sie immer nenne. Seit ein paar Jahren sind übrigens speziell die Anrufe einsamer älterer Damen deutlich seltener geworden. Wo sind die alle hin? Verschollen in den unendlichen Weiten des Internets? Vielleicht. Eine andere Erklärung fällt mir jedenfalls nicht ein. Nicht, dass ich sie ernsthaft vermissen würde. Und doch haben sie mich oft zum Schmunzeln und immer auch zum Nachdenken gebracht. Kostproben gefällig?
Frau Schmid
    »Die Feuerwehr. Der Rettungsdienst. Grüß Gott!«
    »Grüß Gott, hier spricht Frau Schmid aus der Hansastraße. Ich habe ein Problem.«
    Ihre Stimme klingt sehr klar und energisch, sie ist aber sicherlich schon deutlich jenseits der 70 Jahre.
    »Wie können wir Ihnen denn helfen, Frau Schmid?«
    »Es geht um meine Heizung!«
    Ah ja. Das kann ja heiter werden.
    »Sie brauchen also einen Klempner?«
    »Nein, das nicht. Der Heizkörper ist nur so heiß. Ich kann nicht schlafen, wenn es so heiß ist.«
    Ihre Stimme zittert empört. Will sie mich ärgern?
    »Dann machen Sie den Heizkörper doch einfach aus.«
    »Das will ich ja. Aber wie? Der Hausmeister geht auch nicht mehr ans Telefon.«
    Nachts um ein Uhr
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