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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112
Autoren: Christian Seifert , Christian
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dicksten Lederhandschuhe durchdrungen und markante Kratz- und Bissmuster hinterlassen. Die Narben an Fingern und Handrücken sieht man heute noch.
    Der Waschbär hieß übrigens Teddy und wurde kurz nach seiner Wutattacke von seiner Familie im Tierheim abgeholt. Er soll angeblich ein umgänglicher, total an Menschen gewöhnter Bursche gewesen sein. Dass ich nicht lache …

Psycho
    Es gibt eine Menge Abhandlungen und Leitfäden, wie Einsatzkräfte und Disponenten mit psychisch kranken Menschen umgehen sollen. Da steht dann alles drin über die verschiedensten Ausprägungen von Neurosen, Psychosen oder Schizophrenie, Wahnvorstellungen, Depressionen, Süchten und Suizidgefahr. Ich habe diese Leitfäden alle gelesen, habe sogar versucht, für unseren täglichen Umgang mit solchen Patienten eine Art Standardabfrage zusammenzustellen. Und bin zu dem Schluss gekommen: Funktioniert nicht. Es gibt nun mal keine Nullachtfünfzehn-Fragen für Menschen, die von explodierenden Teddybären, inneren Stimmen oder unheimlichen Fratzen verfolgt werden.
    In diesen leider sehr häufig vorkommenden Fällen sind das ganze Geschick, die Erfahrung und vor allem die Intuition des Disponenten gefragt. Er muss nämlich binnen Minutenfrist ergründen, ob solch eine gequälte Seele sofort einen Arzt oder auch nur etwas Zuspruch benötigt. Ob der Mensch sich selbst oder anderen gefährlich werden könnte oder – auch das ist nicht selten – vielleicht gerade einfach nur Langeweile hat. Solche Gespräche haben es wirklich in sich und erfordern viel Erfahrung – wie Sie gleich erfahren werden.
Claudia
    Nennen wir sie Claudia. Sie ist schätzungsweise 35 Jahre alt, spricht ein geschliffenes Hochdeutsch. Sie ist offensichtlich gebildet, selbstbewusst und gewohnt, den Ton anzugeben. Solange sie ihre Medikamente nimmt, ist sie wahrscheinlich eine Frau, die trotz ihrer schizophrenen Schübe ihr Leben meistert. Heute jedoch geht es ihr schlecht. Hier das Gedächtnisprotokoll eines echten Anrufes, den ich zu Übungszwecken in die Ausbildung unserer neuen Kollegen übernommen habe:
    »Die Feuerwehr. Der Rettungsdienst. Grüß Gott!«
    »Guten Tag! Ich war gerade in der Innenstadt im Café und habe zwei Becher Leitungswasser mit Zitrone getrunken und kann jetzt mein Bein nicht mehr bewegen und habe starke Kopfschmerzen!«
    »Hm – und Sie denken, dass das vom Leitungswasser kommt?«
    »Das ist richtig! Ganz genau!«
    »Wo sind Sie denn jetzt genau?«
    »Ich bin zu Hause.«
    »Wie können oder sollen wir Ihnen denn jetzt helfen? Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Ja, ich habe nur gesagt, dass ich ein Bild mache mit Mäusen und Punkten.«
    »Bitte was?«
    »Ich habe nur gesagt, dass ich ein Bild mache mit Labormäusen und Punkten.«
    »Ah ja – das ist gut. Haben Sie Schmerzen?«
    »Ja, habe ich. Nur an einem Bein. Nur im linken Bein und das geht direkt in den Kopf und ich lalle bereits.«
    »Gut. Haben Sie irgendetwas zu sich oder vielleicht auch nicht genommen – Alkohol, Medikamente …?«
    »Der Ramazzotti kostet neun oder elf Euro, und den kann ich mir nicht leisten, das ist Ihnen auch bekannt.«
    »Ah ja?! Bekannt ist mir das nicht! Was machen wir jetzt? Sollen wir Ihnen einen Arzt schicken, der Sie ins Krankenhaus einweist?«
    »Nee! Sie wissen ganz genau, dass ich keinen Humanmediziner in Deutschland aufsuchen darf.«
    »Das dürfen Sie nicht. Das ist schlecht.«
    »Weil ich den Frauenarzt verklage auf mehrere Tausend Euro.«
    »Ah ja! Super! Und jetzt? Was machen wir?«
    »Jetzt möchte ich es Ihnen nur gesagt haben, damit Sie vor Gericht aussagen können, wie schlecht es mir geht. Danke schön. Ciao!«
    Claudia hat sich nie wieder bei uns gemeldet. Ich wünsche ihr, dass sie es geschafft hat, trotz dieser schweren psychischen Krankheit ein ziemlich normales Leben zu leben.
    Ich maße mir nicht an, diesen Menschen wirklich helfen zu können. Aber ich meine, sie haben immerhin das Recht, dass man sie anhört – zumindest so lange, bis wir einschätzen können, ob sie in irgendeiner Form in echter Not oder gar in Gefahr sind. Unsere Hilfsbereitschaft hat allerdings auch Grenzen …
Stammkunden
    Unsere Stammkundschaft zehrt zuweilen mit aller Macht an unseren Nerven. Wir kennen sie alle und teilweise schon seit vielen Jahren aus unzähligen Telefonaten. Einige lassen sich von uns in gewisser Weise helfen und wenigstens ein wenig lenken. Andere dagegen überziehen uns manchmal mit regelrechtem Telefonterror. Solch eine Kandidatin ist zum Beispiel
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