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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Seifert , Christian
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der Dame auf dem Display noch einmal genauer an. Die ersten vier Ziffern gehören zweifellos zu einer großen Münchner Klinik. Frau Heintz muss also eine Patientin sein. Ich hake nach: »Da muss doch eine Krankenschwester sein.«
    »Ja. Die Schwester sagt aber, ich muss auf einen Arzt warten. Ich kann sterben, bis jemand kommt.«
    Ich habe ihr genau zugehört. Frau Heintz atmet völlig normal, zeigt keinerlei Anzeichen einer drohenden Erstickung und ist allenfalls ein bisschen aufgeregt. Ich kann mir also sicher sein, dass sie im Krankenhaus bestens aufgehoben ist. Trotzdem möchte ich ihr die Angst nehmen und versuche es daher mit einem Allerweltsratschlag.
    »Da rufen Sie am besten nochmals die Schwester!«
    Das meint Frau Heintz dann glücklicherweise auch und lenkt ein: »Ja, danke, mache ich!«
    Problem gelöst.
Nanobomben
    Die Angst vor Ärzten sitzt oft tief bei Menschen, deren Leben von psychischen Störungen bestimmt wird. Viele haben bereits jahrelang Erfahrungen gesammelt mit Psychologen, Psychiatern, Neurologen und auch psychiatrischen Krankenhäusern. Und sicher waren es nicht immer die besten Erlebnisse. Immer neue Medikamente, Nebenwirkungen, Schmerzen, Spritzen, Verwirrung, Freiheitsentzug und Einweisung in die Klinik oder Psychiatrie. Bestimmt ist diese Angst vor der Entmündigung einer der Gründe, warum viele psychisch kranke Patienten lieber erst einmal bei uns anrufen. Unsere Praxis ist rund um die Uhr geöffnet. Bei uns geht immer einer ans Telefon. Wir verlangen keine Überweisung und wir hören zu – so haarsträubend die Geschichten auch sein mögen.
    Herr Lenzer ist einer von denen, der mir ein wenig Einsicht in seine Geschichte gewährt. Er ist erst 27 Jahre alt, wahrscheinlich überdurchschnittlich intelligent. Er stammt aus einer sogenannten guten Familie. Mit 20 Jahren hat er ein Medizinstudium begonnen, eine glänzende Zukunft schien ihm offenzustehen. Leider hat er sich phasenweise die Seele aus dem Leib gekifft, sicher auch zu viel getrunken, ist bereits in der Pubertät manisch-depressiv gewesen und schließlich schizophren geworden. Herr Lenzer kennt nahezu alle psychiatrischen Einrichtungen der Stadt und hat viele Monate seines jungen Lebens in geschlossenen Abteilungen verbracht. Sein Leben war und ist eine einzige Achterbahn zwischen Wirklichkeit und Wahn – an dem er uns zuweilen teilhaben lässt, wenn er seine Medikamente wieder heimlich abgesetzt hat und ihm alles über den Kopf wächst. Sein letzter Anruf kommt an einem Sonntagnachmittag. Er ist allein daheim. Und er ist mal wieder in Panik.
    »Die Feuerwehr. Der Rettungsdienst. Grüß Gott!«
    »Michael Lenzer spricht hier. Sie kennen mich doch, oder? Hören Sie, es geht mir überhaupt nicht gut.«
    »Wo fehlt es denn, Herr Lenzer? Was ist denn nicht gut?«
    »Ich kratze und kratze und es wird immer schlimmer. Und ich blute schon, weil es nicht aufhört.«
    »Weil was nicht aufhört?«
    »Die Nanobomben. Ich habe sie unter der Haut. Lauter Beulen, die sich ständig verschieben. Sie sind in meinen Armen, meinen Beinen, meinem Kopf. Verstehen Sie jetzt?«
    »Ähm, nein … ich glaube, ich verstehe gerade nicht …Was ist in Ihrem Kopf?«
    »Das sind die Nanobomben, wie ich gerade schon sagte. Unter meiner Haut, am ganzen Körper. Die können jeden Moment explodieren. Sie können mich töten. Ich brauche sofort einen frequenzdichten Raum oder wenigstens ein Frequenzmessgerät.«
    »Herr Lenzer, haben Sie schon mal Ihren Arzt um Rat gefragt? Sind Sie gerade in Behandlung?«
    »Ja, ja, ich bin dauernd in Behandlung, aber das tut gerade nichts zur Sache. Dieser Zustand hier, der ist jetzt wirklich echt. Das müssen Sie mir glauben.«
    »Soll ich Ihnen einen Doktor nach Hause schicken?«
    Seine heftige Reaktion überrascht mich nicht wirklich. Seine weinerliche Stimme wird plötzlich hart und streng: »Nein! Nein! Vergessen Sie’s. Von einem Arzt lasse ich mir nicht helfen. Der kann mir gar nicht helfen.«
    Der Mann braucht ganz offensichtlich Hilfe. Aber wenn ich ihm jetzt gegen seinen Willen einen Arzt schicken würde, könnte ich unter Umständen eine völlig unberechenbare Panikreaktion provozieren. Solche Fälle hat es immer wieder gegeben – einmal sogar mit tödlichem Ausgang, als ein bekannter Schlagersänger im Zustand völliger Verwirrung auf der Flucht vor den Rettern aus seinem Badezimmerfenster im zweiten Stock in den Tod gestürzt ist.
    Also muss mal wieder eine kleine List her.
    »Herr Lenzer, würden Sie sich

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