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Notaufnahme

Notaufnahme

Titel: Notaufnahme
Autoren: Linda Fairstein
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gefunden hatte.
    »Und wo treffe ich dich? Ich meine, wo ist der Tatort?«
    »Hab’ ich doch eben gesagt.«
    »Das heißt, das Opfer wurde im Krankenhaus umgebracht?«
    »Genau. Vergewaltigt und umgebracht, ‘n hohes Tier. Leiterin der neurochirurgischen Abteilung der Uniklinik, Hirnchirurgin, Professorin. Ihr Name ist Gemma Dogen.«
    Nach zehn Jahren in meinem Job konnte mich nicht mehr viel schockieren – aber diese Nachricht tat es.
    Ich habe Krankenhäuser immer als Zufluchtsstätten betrachtet, als Orte, wo Kranke geheilt wurden, wo man Sterbenden in den letzten Stunden beisteht. Ich war unzählige Male im Mid-Manhattan gewesen – ich habe dort sowohl Zeugen vernommen als auch das medizinische Personal im Umgang mit Opfern von Sexualstraftaten geschult. Die beinahe ein Jahrhundert alten roten Backsteingebäude sind im ursprünglichen Stil restauriert worden. Großzügige Spender früherer Tage haben den Wolkenkratzern daneben, die heute die modernsten Medizintechnologien sowie hervorragende Lehreinrichtungen beherbergen, ihren Namen gegeben – Minuit Medical College.
    Wie immer, wenn ich von einem neuen sinnlosen Verbrechen und dem Ende eines menschlichen Lebens erfuhr, krampfte sich mein Magen zusammen; meine Kopfschmerzen waren vergessen. Vor meinem geistigen Auge begann sich ein erstes Bild von Dr. Dogen zu bilden, und noch bevor ich weitersprach, schossen mir tausend Fragen durch den Sinn: Fragen zu ihrem Leben, zu ihrem Tod, zu ihrer beruflichen Laufbahn, zu ihrer Familie, ihren Freunden und Feinden.
    »Wann ist es passiert, Mike? Und wie?«
    »Irgendwann in den vergangenen fünfzehn bis zwanzig Stunden – Näheres erfährst du, sobald du hier bist. Der Anruf hat uns kurz nach Mitternacht erreicht. Mit sechs Stichen getötet. Ein Lungenflügel ist kollabiert, mehrere wichtige Organe wurden verletzt. Der Mörder hat sie blutüberströmt zurückgelassen; sie hat zu diesem Zeitpunkt noch gelebt. Sie wurde uns als Todeskandidatin gemeldet. Als wir am Tatort ankamen, war sie schon tot.«
    Todeskandidat. Die übliche Bezeichnung für eine Kategorie von Fällen, die in den Tätigkeitsbereich der besten Mordkommission von Manhattan fielen. Zu dieser Sparte zählen Opfer, die beim Eintreffen der Polizei am Tatort in so schlechtem gesundheitlichen Zustand sind, dass ihre nächste Station trotz größter medizinischer Anstrengungen die Leichenhalle ist.
    Verlier keine Zeit mit Spekulationen, ermahnte ich mich selbst, in ein paar Stunden weißt du mehr über die Sache.
    »In einer dreiviertel Stunde bin ich da.«
    Ich sprang aus dem Bett, schloss das Fenster und hob dabei kurz die Jalousie, um einen Blick über die Stadt aus meiner Wohnung im zwanzigsten Stock an der Upper East Side zu werfen. Es dämmerte – ein grauer, nieseliger Tag. Ich habe immer die klaren, kühlen Herbsttage gemocht, die einen Vorgeschmack auf den Winter, auf die bevorstehenden Feiertage und den Schnee im Januar und Februar geben. Meine Lieblingsmonate sind der April und der Mai, wenn die Parks der Stadt grünen und blühen und schon ein Hauch des herannahenden Sommers in der Luft liegt. Aber als ich jetzt den Horizont absuchte, entdeckte ich nichts von alledem, sondern sah nur dunkle, triste Farben. Ich stellte mir vor, dass auch Gemma Dogen auf die berühmten Verse der großen Dichter gepfiffen und sich meiner ganz persönlichen Ansicht angeschlossen hätte, dass der März der grausamste Monat von allen ist.

2
    »Tut mir leid, Ma’am, vor dem Krankenhaus ist das Parken verboten.«
    Der uniformierte Polizist winkte mich weiter, als ich kurz vor sieben vor dem Krankenhaus ankam. Ich ließ das Fenster meines funkelnagelneuen Grand Cherokee herunter, um ihm den Grund meiner Anwesenheit zu erklären – das Parkhaus war zwei Blocks entfernt, und der Weg würde mich mindestens zehn Minuten kosten.
    Bevor ich den Mund aufmachen konnte, hörte ich eine barsche Stimme, und als ich mich in die Richtung wandte, aus der sie kam, sah ich Chief McGraw, der die Tür eines Zivilfahrzeugs zuschlug. »Lassen Sie sie, Officer. Stellen Sie sich hinter mich, Alex, und legen Sie Ihren Ausweis hinter die Windschutzscheibe. Ich denke, wir haben denselben Weg.«
    Verdammt. Danny McGraw war genauso wenig froh, mich hier am Tatort zu sehen, wie ich es war, ihn hier anzutreffen. Wenn die hohen Tiere von der Polizei erst einmal da waren, rissen sie die Sache an sich und ließen sich von der Staatsanwaltschaft nicht mehr viel sagen. Wahrscheinlich würde Chapman
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