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Notaufnahme

Notaufnahme

Titel: Notaufnahme
Autoren: Linda Fairstein
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einen, auf dessen Deckel »schwarz« stand – der Inhalt war zwar nur lauwarm, aber stark genug, um meinen Kreislauf anzukurbeln.
    Als McGraw Chapman endlich zu mir ließ, hatte ich schon meinen zweiten Becher Kaffee geschlürft, die Morgenzeitungen durchgeblättert, die ich auf einem Sofa in einer Ecke des Raumes aufgestöbert hatte, und mit ein paar Cops das Baskettballspiel vom Vorabend diskutiert. Ich erfuhr, dass es sich bei dem Raum, in den man den Chief geführt hatte, um das Büro der Ermordeten handelte – um den Ort, an dem man sie niedergemetzelt und in ihrem eigenen Blut hatte liegen lassen und wo sie erst Stunden später gefunden worden war. Es gab bislang weder einen Verdächtigen noch irgendwelche offensichtliche Spuren, keine blutigen Fußspuren, die in das Labor eines verrückten Wissenschaftlers mit Hang zum Morden führten. Das Team bereitete sich auf die üblichen langwierigen Ermittlungen vor, die Teil des Jobs waren, den sie trotzdem alle liebten.
    »Hey, Blondie«, ertönte Chapmans Stimme – für alle gut hörbar – durch den Raum, »dein Anblick so früh am Morgen hat McGraw zur Bestie gemacht.«
    Chapman war in seinem Element. Während ich noch eine ganze Weile an der emotionalen Seite des Mordes an dieser Frau zu knabbern haben und mich fragen würde, wer sie vermisst und wer um sie trauert, war Mike schon bereit für die Jagd. Er bearbeitete gerne Mordfälle, weil er keine Rücksicht mehr auf das Opfer nehmen musste, während mir besonders viel daran lag, den Gesundungsprozess überlebender Opfer zu begleiten; mit Überlebenden sexueller Gewalttaten hatte ich eindeutig lieber zu tun – es war in meinen Augen eine wesentlich dankbarere Aufgabe als das Aufspüren eines Mörders, wobei man nur hoffen konnte, den Tod des Opfers zu rächen, indem man den Täter hinter Gitter brachte. Ohne die Möglichkeit, das vernichtete menschliche Leben wiederherzustellen, konnte es meiner Meinung nach so etwas wie Gerechtigkeit nicht geben.
    Während Mike auf uns zukam, registrierte ich zufrieden, dass McGraws Worte – was auch immer er Chapman gesagt haben mag – Chapmans Grinsen, sein Markenzeichen, nicht hatte vertreiben können. Sein schwarzes Haar war untypischerweise zerzaust – ein Zeichen dafür, dass ihn das, was er in dieser Nacht gesehen hatte, einen Schock versetzt hatte. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich, ohne es selbst zu merken, wild mit den Händen durchs Haar fuhr, wenn ihm etwas nahe ging. Das marineblaue Sakko und die Jeans waren für Chapman so eine Art Uniform, die er seit fünfzehn Jahren, seit seiner Zeit im Fordham College trug und die ihn vom üblichen Braun und Grau seiner Kollegen von der Elite-Mordkommission der Stadt unterschied.
    »Komm mit rüber in die Ecke, dort kann ich dir alles berichten«, gab er mir in der Hoffnung zu verstehen, wir würden irgendwo in dem offenen Foyer etwas Ruhe finden. »Hast du heute Morgen schon Nachrichten gehört? Ist die Neuigkeit schon raus?«
    »Ich hab’ auf dem Weg hierher WINS gehört. Kein Wort. Der Streik der Müllabfuhr und die Gewerkschaftsverhandlungen sind immer noch die ersten Schlagzeilen. Und natürlich die Ermittlungen im Fall von Lady Di.«
    »Dann bleiben uns noch ein paar Stunden. Hast du den Videoleuten Bescheid gesagt?«
    »Klar. Bannion kommt persönlich vorbei.« Ich hatte den Leiter unserer technischen Abteilung zu Hause angerufen, um sicherzustellen, dass der Job so gut wie möglich erledigt würde. »Er hat mir versprochen, gegen acht hier zu sein.«
    »Und jetzt zu dem, was wir bisher wissen: Gemma Dogen – weiblich, weiß.« Mike blätterte seinen Notizblock zur ersten Seite zurück, aber um mir das Wichtigste mitzuteilen, brauchte er seine Aufzeichnungen nicht. »Achtundfünfzig Jahre, aber ich kann dir sagen«, kommentierte Chapman jetzt, »dass sie dafür noch prima in Schuss war.«
    »Mit achtundfünfzig ist man ja auch noch keine Greisin, Mickey.«
    »Naja, aber ein Teenie auch nicht mehr. Wenn man Sexualstraftat hört, denkt man an eine junge, attraktive Frau, die …«
    » Wieder mal eins deiner persönlichen Probleme: Du schließt von dir auf andere.« Eine Vergewaltigung hat nur sehr selten etwas mit einem Sexualakt wie dem Geschlechtsverkehr zu tun, den wir kennen – besonders dann nicht, wenn sich Opfer und Täter davor noch nie begegnet sind. Es handelt sich vielmehr um ein Gewaltverbrechen im Tarngewand, bei dem Sex nur die Waffe darstellt, für die sich der Täter entschieden
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