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Nosferas

Nosferas

Titel: Nosferas
Autoren: Ulrike Schweikert
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durch das Land marschierte, um es zu einen. Nun also war Italien ein Königreich, den Kirchenstaat gab es nicht mehr. Stattdessen saß der ehemalige Herrscher Sardinien-Piemonts Vittorio Emanuele II. hier auf seinem römischen Thron, während Papst Pius IX. sich schmollend in den kläglichen Rest seines Vatikans zurückgezogen hatte. Das Angebot der Franzosen, ihm Asyl zu gewähren, hatte er abgelehnt, und dennoch kreuzte das  Franzosenschiff noch immer vor der Küste. Es waren spannende Jahrzehnte gewesen, doch die anderen interessierten sich nur für ihre Völlerei und ihre Experimente, wie man Blut mit einem Hauch edler Weine noch schmackhafter machen konnte. In ihren Sänften ließen sie sich von ihren Schatten durch die Stadt tragen, zu träge, die Nacht auf ihren eigenen Beinen zu erkunden.
    Erado schüttelte den Kopf, um die Gedanken an die anderen Clanmitglieder zu vertreiben. Diese Nacht gehörte ihm allein und er wollte sie sich nicht verderben lassen. Er genoss die Gerüche und den warmen Abendhauch, schwang seinen eleganten Stock und eilte mit fast tänzelndem Schritt über das Pflaster. Sein weiter Mantel blähte sich. Er war ein Vampir in den besten Mannesjahren. Sein schwarzes Haar war gepflegt, nur die Schläfen zeigten die ersten silbrigen Strähnen. Er fühlte sich stark und freute sich auf die Genüsse dieser Nacht, die ihn im Salon einer gewissen Dame erwarteten: Gesang und feinsinnige Kunst, vielleicht ein wenig Kartenspiel und interessante Gespräche über Politik, Oper und andere Themen, die die römischen Gemüter im Moment erhitzten. Natürlich würde seine Lust nicht zu kurz kommen. Aber diskret! Er hatte vor, dieses Etablissement noch öfter aufzusuchen, und da wäre ein blutiger Skandal sicher nicht angebracht!
    Ein junges Mädchen trat ihm in den Weg, als er in eine schmale Gasse einbog. »Verzeiht, Signore!«
    Er brauchte sie nicht zu fragen, was ihr Begehr sei. Ihre Aufmachung zeigte das deutlich. Erado blieb stehen und hob abwehrend die Hand. Für so etwas hatte er heute keine Zeit. Dann fiel ihm auf, dass sie sauber und gepflegt wirkte. Und hübsch war sie auch noch. Er konnte das Blut in den Adern an ihrem Hals pulsieren sehen. Ihr Duft war süß und ließ seine Gier aufwallen. Vielleicht war es nicht verkehrt, den ersten Hunger bereits vorher zu stillen. Sie roch nach junger Haut und ein wenig bitter nach etwas, was er nicht sofort einordnen konnte. Sicher hatte sie an diesem Abend bereits ein paar alkoholische Getränke genossen, die nun in ihrem Blut kreisten, aber das würde ihn nicht besonders beeinträchtigen. Er war daran gewöhnt. Warum also nicht? Er lächelte und trat auf sie zu. »Signorina, wollen wir nicht in den Hof nebenan treten. Hier ist es zu hell und zu belebt.«
    Sie kicherte und wurde ein wenig rot. Welch seltsame Reaktion für ein Straßenmädchen, dachte er, als er den Arm um ihre Schulter legte und sie in die Schatten führte. Und noch etwas verwunderte ihn. Eine vibrierende Anspannung umgab sie wie eine Aura. Sie lugte seitlich an ihm vorbei, als er ihr langes Haar von ihrem Hals strich.
    Ach, es gab so viele Anzeichen, die ihn hätten retten können, hätte er sich nur einen Augenblick des Nachdenkens gegönnt! Doch die unzähligen Nächte in Gesellschaft seiner dekadenten Familie hatten seine Sinne vernebelt und seinen Geist betäubt. Zu spät erkannte er die Wahrheit. Die Falle schnappte zu.
    Das erste Warnsignal, das er registrierte, war der Geschmack ihres Blutes. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht! Doch da war es auch schon zu spät. Die Lähmung setzte sofort ein. Er fühlte zwar die Bewegung hinter sich, doch seine Reaktion war schon so langsam wie die eines Menschen. Als er sich endlich umgedreht hatte, konnte er nur noch fassungslos den Menschen anstarren, der eine Waffe mit beiden Händen umklammerte, die silberne Klinge zum tödlichen Stoß erhoben.
     

DIE REISE NACH ROM
     »Was machst du da?«, fragte Tammo misstrauisch, der noch etwas verschlafen in seiner aufgeklappten Kiste saß.
    Hindrik begrüßte ihn fröhlich und stellte die beiden Kisten ab, die er sich rechts und links unter den Arm geklemmt hatte. Sie waren etwa so lang und so breit wie die Särge der jungen Vampire.
    Auch wenn er sich äußerlich nicht verändert, seine Kräfte scheinen stetig zu wachsen, dachte Alisa, die sich bereits angekleidet und ihr langes Haar aufgesteckt hatte. Heute trug sie ein blaues Kleid aus Seidentaft, das aus einem hüftlangen Kürass-Oberteil
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