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Nosferas

Nosferas

Titel: Nosferas
Autoren: Ulrike Schweikert
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durchdringend. Dann setzten sich die Räder in Bewegung. Ein Vibrieren wanderte durch Alisas Körper, das in ein unsanftes Schütteln überging. Sie lag auf dem Rücken in ihrer Kiste, die Hände auf der Brust gefaltet, die Augen geschlossen, dennoch war sie hellwach. Bald schon rollten die Räder schneller und das Rütteln ließ ein wenig nach. Ein regelmäßiger Rhythmus stellte sich ein mit einem Rauschen, das bei jeder Naht, an der zwei Schienen aneinanderstießen, von einem kurzen Trommelwirbel unterbrochen wurde. Eine Weile konzentrierte sich Alisa nur auf dieses Geräusch. »Wir fahren nach Rom, wir fahren nach Rom«, flüsterten die Schienen ihr zu und unterstrichen »Rom« bei jeder Nahtstelle mit einem kleinen Freudensprung. Eigentlich hätte das gleichmäßige Rattern einschläfernd wirken müssen, doch Alisa war in einem Zustand kribbelnder Unruhe, und es fiel ihr schwer, still zu liegen. Es war ihr, als würde sie keine Luft bekommen. Das war natürlich Unsinn. Vampire atmeten aus Gewohnheit, nicht aus Notwendigkeit. Dennoch fühlte sie sich eingesperrt und hätte am liebsten den Deckel aufgestemmt. Den hatte Hindrik allerdings sorgfältig zugenagelt. Alisa fühlte, wie der Zug beschleunigte. Sicher hatten sie die Stadt nun hinter sich gelassen und fuhren über das offene Land. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie die Weiden und Wälder vorbeihuschten, vom Mondlicht beschienen. Wie gern würde sie es mit eigenen Augen sehen. In einem der bequemen Abteile sitzen, den Kopf aus dem Fenster strecken und den Nachtwind an ihrem langen Haar zerren lassen. Stattdessen konnte sie nur hören, fühlen und riechen und versuchen, zu erraten, wo sie sich gerade befanden.
    Die Nacht schritt voran und ein paarmal hielt der Zug an einer  Station an. Sie hörte Stimmen. Manche der Menschen konnte sie sogar riechen, wenn sie an ihrem fest verschlossenen Waggon vorbeigingen. Dann fuhr der Zug weiter. Als er das nächste Mal anhielt, fühlte Alisa, wie der Wagen abgekoppelt wurde. Dann blieb er stehen. Wann würden sie ihre Fahrt fortsetzen? Die Zeit verging, die Nacht verblich. Alisa spürte das Nahen der Sonne. Ihr Körper wurde schwer und bald konnte sie sich nicht länger wach halten und fiel in den tiefen, todesähnlichen Schlaf aller Vampire.
    Als Alisa am Abend erwachte, bewegte sich der Zug wieder. Er fuhr langsam, und sie fühlte, dass es bergauf ging. Ihre Unruhe ließ sich nicht länger unterdrücken und die Neugier war schlimmer als der einsetzende Hunger. Und außerdem wollte sie sich bewegen! Alisa kramte nach dem Bündel, das sie in ihrer Schlafkiste verborgen hatte.
    »Unnützes Menschenzeug«, hatte Tammo es genannt. Nun, ihr würde es jetzt sogar sehr nützlich sein! Sie tastete über die kalte Metalloberfläche der Werkzeuge, die sie bei einem ihrer nächtlichen Streifzüge in der Reiherwerft hatte mitgehen lassen. Ein Hammer, eine Zange, ein Brecheisen und ein breiter Keil. Damit sollte es gehen! So leise wie möglich machte sie sich an den Nägeln zu schaffen. Erst rutschten die Werkzeuge immer wieder ab, da sie sich nicht aufrichten konnte und so nur schlecht an die Nagelstellen herankam. Dann aber hatte sie so viele von ihnen entfernt, dass sie den Deckel ein Stück aufschieben konnte. Sie hebelte mit dem Brecheisen die letzten Metallstifte aus dem Holz und klappte den Deckel auf. Wunderbar frische Nachtluft hüllte sie ein. Alisa setzte sich auf und sah sich um. Neben ihr standen die Kisten von Tammo und Sören und auch die drei mit ihren Habseligkeiten. Die Kisten ihrer Begleiter waren ein Stück entfernt aufgestapelt. Alisa lauschte. Außer dem Rattern der Räder und dem Schnaufen der Lokomotive konnte sie nichts hören. Sie schwang sich über den Rand und huschte zur Waggontür. Die breite Schiebetür an der Seite war verschlossen und vermutlich  auch mit einem Riegel gesichert. Doch die schmale Tür am vorderen Ende des Wagens würde sie vielleicht öffnen können - mit dem richtigen Werkzeug! Sie eilte zu ihrer Kiste zurück und nahm zwei dünne Eisenstifte aus ihrem Bündel.
    »Alisa? Bist du das?«, hörte sie Tammos Stimme, vom Holz um ihn herum gedämpft. Sie blieb reglos neben seiner Kiste stehen. »Was machst du? Antworte! Ich kann dich spüren!«
    »Ja, ich bin hier«, sagte sie leise und strich mit den Fingernägeln über das Holz. Er klopfte von der anderen Seite dagegen.
    »Wie bist du rausgekommen? Ich sitze hier fest! Haben sie vergessen, deine Kiste zuzunageln?«
    »Nein, das
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