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Nosferas

Nosferas

Titel: Nosferas
Autoren: Ulrike Schweikert
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bestand - hochgeschlossen mit einem kleinen Stehkragen -, einem schmalen, bodenlangen Unterrock mit gefalteten Rüschen und einem etwas kürzeren gerafften Überrock, der hinten durch eine kleine Tornüre ein wenig ausgestellt wurde.
    »Sören, sieh es dir an. Hat sie nicht einen hübschen Entenhintern«, lästerte Tammo. Alisa riss sich fast die Röcke auf, als sie ihn mit einem Sprung an seinem ungekämmten Haarschopf packen wollte. Sie kam ins Straucheln und wäre gefallen, hätte Hindrik sie nicht blitzschnell aufgefangen. Die beiden Jungen kicherten spöttisch. Alisa blitzte sie böse an.
    »Warum soll ich diese blöden Kleider tragen, in denen ich mich nicht bewegen kann? Und diese Schuhe!« Sie deutete auf das feine Lederwerk mit den verzierten Absätzen.
    »Dame Elina erwartet von euch, dass ihr vor den anderen Familien einen guten Eindruck macht.«
    »Ach, und sie meint, wenn ich über meine engen Röcke stolpere, dann ist der Eindruck besser …«
    »… als wenn du dich wie ein Hafenjunge aus dem Gängeviertel kleidest«, ergänzte Hindrik. »Ja, so in etwa würde ich das ausdrücken. Aber du wirst nicht stolpern. Man kann durchaus auch in engen Kleidern ein Zimmer mit einem einzigen Sprung durchqueren, wenn man sich entsprechend konzentriert«, fügte er hinzu.
    »Ich werde daran arbeiten«, sagte Alisa so würdevoll wie möglich, nahm sich im Stillen aber vor, Kittel, Hose und Schlupfschuhe in ihrer Schlafkiste zu verstecken und nach Rom mitzunehmen. Man konnte ja nie wissen.
    Hindrik ging hinaus und holte eine dritte Kiste. Jetzt erst fiel Alisa auf, dass auch er heute besonders fein gekleidet war. Er trug einen einreihigen orangefarbenen Seidenfrack mit hohem Kragen und engen Ärmeln, darunter eine Weste, gelbe Seidenkniehosen, eine weiße Halsbinde mit einem Spitzenjabot, weiße Strümpfe und schwarze Schnallenschuhe, allerdings trug er keine Perücke. Stattdessen hatte er sein dunkelblondes Haar mit einer Samtschleife zurückgebunden.
    »Der neueste Schrei, vermute ich?«, sagte Alisa, nachdem sie ihn ausgiebig gemustert hatte.
    »Aber ja, der Trend bei den Herren - vor einhundert Jahren«, sagte Hindrik mit einer Verbeugung und wandte sich wieder den Särgen zu.
    »Jetzt verrat uns endlich, was es mit den Kisten auf sich hat«, drängte Tammo und trat näher.
    »Dame Elina bittet euch, bis in einer Stunde eure Kisten zu packen, falls ihr etwas von euren Habseligkeiten nach Rom mitnehmen wollt. Sucht euch jeder eine aus und dann legt euch wieder in eure Särge. Ich hole sie nachher ab und trage sie zu dem Karren, der unten wartet, um sie zum Bahnhof zu fahren.«
    »Wir müssen die ganze Fahrt über in unseren Kisten bleiben?«, rief Alisa. Die Enttäuschung war ihr anzuhören. Hindrik nickte.
    »Aber dann bekommen wir von der Reise ja gar nichts mit! Ich dachte, der Zug fährt gegen Mitternacht ab. Es wird dunkel sein!«
    »Richtig, aber wir werden eine ganze Weile unterwegs sein. Fast zwei Tage! Da ist es besser, wenn wir uns als Fracht einliefern.«
    »Du auch und Dame Elina und die anderen, die uns begleiten?«
    Hindrik nickte. »Ja, wir werden alle so reisen. Reint und Anneke werden mit zum Bahnhof kommen und dafür sorgen, dass wir alle sicher verstaut werden - und dass uns niemand während unserer Reise stört.«
    Er ging zur Tür. »Trödelt nicht. Wir müssen pünktlich losfahren.«
    Alisa machte sich ans Packen. Als Erstes stopfte sie die Zeitungen hinein, die sie in den vergangenen Nächten erbeutet hatte, dann ihre wichtigsten Bücher: Reise zum Mittelpunkt der Erde und  In achtzig Tagen um die Welt von Jules Vernes, ein Band mit Geschichten von Edgar Allan Poe, Mary Wollstonecraft Shelleys  Frankenstein und Erewhon von Samuel Butler. Wobei ihr dieses Buch am wenigsten gefallen hatte. Wie konnte man derart pessimistisch denken, angesichts der unglaublichen Erfindungen und Entdeckungen, die die Menschen Jahr für Jahr machten?
    »Wie kannst du nur so entsetzlich fröhlich sein«, schimpfte ihr Bruder, der mit verschränkten Armen vor seiner leeren Kiste stand. »Wir werden dort in die Schule gehen müssen! Sagt dir das gar nichts? Ich habe die Menschenkinder reden hören. Ich weiß, was das bedeutet. Pauken und Stillsitzen, Stockhiebe und in der Ecke stehen. Es ist aus mit unserer Freiheit! Und du freust dich auch noch darüber? Manchmal frage ich mich, ob Weiber überhaupt einen Verstand besitzen.«
    Er wich vorsichtshalber ein Stück zurück, doch seine Schwester war viel zu sehr damit
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