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Nord gegen Süd

Nord gegen Süd

Titel: Nord gegen Süd
Autoren: Jules Verne
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noch dichter an Zermah. O, wenn es für das Heil des Kindes genügt hätte, sich mitten unter diese Ungeheuer zu stürzen, die sie gleich einem riesenhaften Kopffüßler mit tausenden Saugarmen zu umschlingen drohten, so würde sich die Mestizin keinen Augenblick überlegt haben, was sie zu thun hätte.
    Um die Tochter ihres Herrn zu retten, bedurfte es aber eines helfenden Eingriffes der Vorsehung, und eine solche Hilfe in höchster Noth kann nur Gott allein gewähren. Zu ihm nahm auch Zermah ihre Zuflucht. Am Uferrande in die Knie gesunken, flehte sie zu Dem, der dem Zufall gebietet, dem Zufall, der ja so oft zum Träger seines Willens wird.
    Inzwischen konnten einzelne Gefährten Texar’s aber von einer Minute zur anderen am Saume des Waldes erscheinen; ebenso mußte sie befürchten, daß der auf der Insel zurückgebliebene Bruder Texar’s sich nach dem Wigwam begab, und wenn er dort Zermah und Dy nicht mehr vorfand, nach ihnen zu suchen beginnen würde…
    »O mein Gott, flehte die unglückliche Frau, Erbarmen, Erbarmen mit uns!«
    Da richteten sich ihre Blicke unwillkürlich nach der rechten Seite des Canals.
    Ein leichte Strömung führte das Gewässer desselben nach der nördlichen Seite des Sees, wo einige Zuflüsse des Calaooschatches münden, eines an sich kleinen Flusses, der nach dem Golf von Mexiko verläuft und durch dessen Wasser der Okee-cho-bee-See zur Zeit der allmonatlichen Hochfluthen gespeist wird.
    Ein Baumstamm, der langsam von der rechten Seite daher geschwommen kam, stieß eben an’s Ufer. Dieser Stamm konnte offenbar zur Ueberschreitung des Canals dienen, da ein vorspringender Winkel des Ufers, der wenige Schritte weiter unten der Strömung eine andere Richtung ertheilte, ihn nach dem Cypressenwalde hinübertreiben mußte. Gelangte der Stamm aber unglücklicherweise doch nach der Insel selbst zurück, so waren die Flüchtlinge auch nicht mehr gefährdet als jetzt.
    Ohne weiter zu überlegen und wie durch Instinct gedrängt, eilte Zermah auf den daherschwimmenden Stamm zu. Bei reiflicherem Nachdenken hätte sie sich vielleicht sagen müssen, daß Hunderte von gefährlichen Reptilien hier im Wasser wimmelten und daß der Stamm selbst sich mit seinen Zweigen in Wasserpflanzen fangen und dadurch mitten im Canal festgehalten werden konnte. Ja – aber Alles war noch besser, als auf der Insel selbst zu bleiben. Zermah faßte also Dy in den einen Arm, hielt sich mit dem anderen an den Aesten des Stammes fest und trieb vom Ufer ab.
    Sofort gelangte dieses eigenthümliche Rettungsfloß wieder in die Strömung und diese trug es langsam dem jenseitigen Ufer zu.
    Zermah suchte sich dabei in dem Gezweig, das sie theilweise bedeckte, möglichst zu verbergen. Uebrigens waren beide Ufer völlig verlassen, und weder von der Seite der Insel noch von der des Cypressenwaldes tönte ein Laut zu ihrem Ohre. Wenn sie nur erst den Canal überschritten, hoffte die Mestizin schon bis zum Abend ein schützendes Versteck zu finden, da sie, ohne Gefahr bemerkt zu werden, bis dahin tiefer in die Waldung eindringen zu können glaubte. Allmählich schöpfte sie wieder einige Hoffnung. Um die gräulichen Schlangen, deren offene Rachen zu beiden Seiten des Baumstammes gähnten und die wiederholt durch die halb in’s Wasser tauchenden Aeste desselben schlüpften, machte sie sich fast gar keine Sorge. Das kleine Mädchen hatte vor diesem Anblick die Augen geschlossen. Mit der einen Hand hielt Zermah sie an ihre Brust gedrückt, die andere hatte sie frei, immer bereit, jene Ungeheuer mit dem Jagdmesser abzuwehren. Ob diese nun vor der blitzenden Klinge wirklich erschraken oder ob sie nur unter dem Wasser für ihre Opfer gefährlich wurden, jedenfalls suchten sie gar nicht auf den dahertreibenden Stamm zu gelangen.
    Endlich erreichte der Stamm die Mitte des Canals, dessen Strömung schräg nach dem Walde zu gerichtet war. Vor Ablauf einer Viertelstunde mußte er, wenn er sich nicht an Wasserpflanzen fing, am jenseitigen Ufer angelangt sein. Wie groß auch die dort lauernden Gefahren sein mochten, jedenfalls hielt sich Zermah dann gegen einen Ueberfall Texar’s geborgen.
    Plötzlich drückte sie das Kind noch fester in ihre Arme.
    Von der Insel her erscholl ein wüthendes Gebell; fast in demselben Augenblicke erschien ein Hund auf dem hohen Ufer, an dem er in tollen Sätzen herabsprang.
    Zermah erkannte den zur Bewachung des Wigwams zurückgelassenen Spürhund, den der Spanier nicht mit sich genommen hatte.
    Mit borstig
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