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Nord gegen Süd

Nord gegen Süd

Titel: Nord gegen Süd
Autoren: Jules Verne
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folgenden Tage die Umgebungen des Sees durchsuchen wollte. Offenbar konnte dieser Zug nicht unternommen werden, ohne die Möglichkeit, der föderirten Abtheilung, wenn man derselben begegnete, wenigstens einigen Widerstand zu leisten. Texar ließ sich also sicherlich von allen seinen Leuten und von den durch seinen Bruder zugeführten Parteigängern begleiten. Letzterer selbst würde ohne Zweifel auf der Insel zurückbleiben, sowohl um hier nicht erkannt zu werden, wie um den Wigwam zu bewachen. Dann aber wollte Zermah um jeden Preis entfliehen. Vielleicht fand sie zufällig auch irgendwelche Waffe, von der sie im Falle einer Ueberraschung Gebrauch zu machen gewiß nicht zögern wollte.
    Die Nacht verrann. Vergebens hatte Zermah sich bemüht, aus allen Geräuschen, die auf der Insel hörbar wurden, einen verläßlicheren Schluß zu ziehen, und zwar immer mit der ersehnten Hoffnung, daß die Mannschaft des Capitäns Howick doch noch hierher vordringen könnte, um sich Texar’s zu bemächtigen.
    Wenige Minuten vor dem eigentlichen Tagesanbruch erwachte, nachdem sie sich ein wenig erholt, das kleine Mädchen wieder. Zermah reichte ihm ein paar Tropfen Wasser, die es erfrischten. Dann drückte sie dasselbe, mit einem Blicke, als wenn ihre Augen es niemals mehr wiedersehen sollten, zärtlich in die Arme. Wäre Jemand in diesem Augenblicke eingetreten, um ihr das Kind zu entreißen, so würde sie dasselbe mit der Wuth der Löwin, der man ihr Junges rauben will, vertheidigt haben.
    »Was fehlt Dir, gute Zermah? fragte das Kind.
    – Ach, nichts… nichts! murmelte die Mestizin.
    – Und Mama… wann sehen wir die Mama wieder?
    – Bald… versicherte Zermah. Vielleicht noch heute!… Ja, mein Herzenslieb!… Heute, hoff’ ich, werden wird noch weit weg kommen…
    – Und die garstigen Männer, die ich diese Nacht gesehen habe?…
    – Diese Männer, antwortete Zermah lebhafter, hast Du sie richtig gesehen?
    – Ja, ich fürchtete mich sogar vor ihnen!
    – Aber Du hast sie ordentlich angesehen, nicht wahr?… Du hast auch bemerkt, wie ähnlich sie einander waren?…
    – Ja wohl, Zermah.
    – Nun gut; so merke Dir einmal, daß Du Deinem Vater oder Deinem Bruder sagen mußt, es seien das zwei Brüder… hörst Du wohl, zwei Brüder Texar, die einander so ähnlich aussehen, daß man sie, selbst wenn sie zusammen sind, kaum unterscheiden kann.
    – Aber Du… wirst Du das auch sagen?… erwiderte das kleine Mädchen verwundert.
    – Ich?… Natürlich!… Doch wenn ich nicht da wäre, darfst Du es nicht vergessen…
    – Und warum solltest Du nicht da sein? fragte das Kind, während es die Aermchen um den Hals der Mestizin schlang, als wollte es sich fester an diese anklammern.
    – O, ich werde ja da sein, mein Lieb; ja wohl, ich bin dann da! – Jetzt, wenn wir von hier fortgehen – und wir haben einen weiten Weg vor uns – müssen wir dafür sorgen, Kräfte zu haben… Ich werde Dein Frühstück zurecht machen.
    – Und Du?
    – Ich habe gegessen, während Du schliesst, und spüre keinen Hunger mehr.«
    In Wahrheit hätte bei dem Zustande der Ueberreizung, unter dem Zermah eben litt, diese auch nicht das Geringste zu essen vermocht. Nachdem es sein dürftiges Mahl verzehrt, legte sich das Kind wieder auf seine Lagerstatt nieder.
    Zermah nahm darauf Stellung neben einer breiteren Ritze, welche die Stöcke der Wand an der Ecke des kleinen Raumes zwischen sich ließen. Hier beobachtete sie eine Stunde lang unausgesetzt, was draußen vorging, da das für sie von größter Bedeutung war.
    Sie sah da, wie man sich zum Aufbruche rüstete. Einer der beiden Brüder – nur einer – leitete die Zusammenstellung der Truppe, welche er nach dem Cypressenwalde führen wollte. Der andere, den Niemand erblickt hatte, mußte sich offenbar, entweder im Innern des Wigwam oder in irgend einem Winkel der Insel, verborgen halten.
    Das glaubte wenigstens Zermah, da sie wußte, mit welch’ ängstlicher Sorgfalt die beiden Brüder ihr Geheimniß zu behüten trachteten. Sie sagte sich, daß wahrscheinlich dem Zurückbleibenden die Aufgabe zugefallen wäre, sie selbst und das Kind zu überwachen.
    Wie wir bald sehen werden, täuschte Zermah sich nicht.
    Inzwischen hatten sich, in Erwartung der Befehle ihres Anführers, die Parteigänger und die Sclaven in einer Anzahl von etwa fünfzig Köpfen vor dem Wigwam versammelt.
    Es mochte gegen neun Uhr Morgens sein, als die Truppe sich anschickte, nach dem Saume der Waldung überzutreten, was immerhin
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