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Nord gegen Süd

Nord gegen Süd

Titel: Nord gegen Süd
Autoren: Jules Verne
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einige Zeit in Anspruch nahm, da die vorhandene einzige Pirogue nur fünf bis sechs Mann faßte. Zermah bemerkte, wie die Männer in kleineren Gruppen hinab-und am jenseitigen Ufer wieder hinaufstiegen. Durch die Wandspalte konnte sie übrigens die Oberfläche des Wassers selbst nicht sehen, da diese ein gutes Stück tiefer als das Niveau der Insel lag.
    Texar, der bis zuletzt zurückgeblieben war, verschwand dann ebenfalls und nahm einen der Hunde mit, dessen Spürsinn bei dem Zuge benützt werden sollte. Auf ein Zeichen seines Herrn trabte der andere Leithund nach dem Wigwam zurück, als hätte es ihm allein obgelegen, die Thür desselben zu bewachen.
    Ganz kurze Zeit darauf bemerkte Zermah auch Texar, der am entgegengesetzten Uferrand emporklomm und nur ein Weilchen stehen blieb, um seine Truppe zu ordnen. Dann verschwanden Alle, Squambo an der Spitze, hinter dem hohen Röhricht unter den ersten Bäumen des Waldes. Höchst wahrscheinlich hatte einer der Schwarzen die Pirogue zurückzuführen gehabt, damit Niemand nach der Insel hinüber gelangen könne. Die Mestizin konnte ihn jedoch nicht sehen und glaubte deshalb, er werde längs des Canalrandes hingegangen sein.
    Jetzt galt es, nicht länger zu zögern.
    Dy war eben wieder erwacht und es war schmerzlich, ihren abgemagerten Körper unter der durch so viele Strapazen abgenützten Kleidung zu sehen.
    »Komm nun, mein Lieb, rief sie Zermah.
    – Wohin denn? fragte das Kind.
    – Dorthin… in den Wald!… Vielleicht finden wir dort Deinen Vater, Deinen Bruder!… Du wirst Dich doch nicht fürchten?
    – Mit Dir niemals!« versicherte das kleine Mädchen.
    Dann öffnete die Mestizin vorsichtig die Thür des Raumes. Da sie in dem nebenliegenden Gelaß keinen Laut vernommen, setzte sie voraus, daß Texar sich nicht im Wigwam befinden könne.
    Wirklich war hier Niemand.
    Zunächst suchte Zermah nun nach einer Waffe, von der Gebrauch zu machen sie fest entschlossen war, wenn irgend Jemand sie zurückzuhalten versuchen sollte. Auf dem Tische lag eines jener langen, breitklingigen Messer, deren sich die Indianer bei ihren Jagdzügen zu bedienen pflegen.
     

    Zermah sah die Männer hinabsteigen. (S. 392.)
     
    Die Mestizin ergriff dasselbe und verbarg es unter ihrer Kleidung; sie nahm auch noch etwas getrocknetes Fleisch, um nöthigenfalls für einige Tage mit Nahrung versehen zu sein.
    Jetzt handelte es sich ihr darum, aus dem Wigwam hinauszukommen. Zermah blickte durch den Spalt in der Wand nach dem Canale hin. Auf diesem Theile der Insel zeigte sich kein lebendes Wesen, nicht einmal der eine Hund, der zur Bewachung der Wohnung zurückgelassen worden war.
    In dieser Hinsicht beruhigt, versuchte die Mestizin, die äußere Thür zu öffnen.
    Diese aber – von außen verschlossen – widerstand ihren Bemühungen.
    Sofort kehrte Zermah mit dem Kinde nach dem Wohnraume zurück. Jetzt blieb ihr nur der eine Ausweg übrig, die schon in der Wand des Wigwams vorhandene Oeffnung hinreichend zu erweitern.
    Das war keine zu schwierige Aufgabe; sie konnte dazu das Jagdmesser benützen, mit dem sie das Rohrgeflecht der Wand durchschnitt, und das vollbrachte sie, ohne dabei das geringste Geräusch zu erregen.
    Doch wenn jener Spürhund, der Texar nicht gefolgt war, vorläufig unsichtbar blieb, würde derselbe nicht kommen, wenn Zermah sich draußen befand? Würde er dann nicht sie und das Kind mit gewohnter Wuth überfallen? Das wäre ungefähr dasselbe gewesen, als wenn sie sich einem Tiger gegenüber befunden hätte.
    Dennoch durfte sie keinen Augenblick zaudern. Nach Verbreiterung der Oeffnung zog Zermah das Kind an sich und umfing es in zärtlichster Umarmung. Das kleine Mädchen gab ihr jeden Kuß mit Zinsen zurück. Sie hatte begriffen, daß sie fliehen, durch diese Oeffnung fliehen mußten.
    Da erscholl plötzlich ein wüthendes Gebell. Noch ziemlich weit entfernt, schien es von der Westseite der Insel herzukommen. Zermah hatte das Kind ergriffen. Das Herz schlug ihr zum Zerspringen. Sie glaubte sich nicht eher in verhältnißmäßiger Sicherheit, als bis sie hinter dem Röhricht des anderen Ufers verschwunden war.
    Freilich, den etwa hundert Schritte langen Zwischenraum, der den Wigwam vom Canal trennte, zu überschreiten, war der allergefährlichste Theil ihres kühnen Vorhabens. Sie lief ja dabei Gefahr, entweder von Texar oder von einem der auf der Insel zurückgebliebenen Sclaven bemerkt zu werden.
    Glücklicher Weise erstreckte sich zur Rechten des Wigwams ein dichtes
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