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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe
Autoren: Kerstin Michelsen
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über so viel Freizeit zu verfügen. Wir hatten eine Zugehfrau und drei Mal im Jahr kamen die Fensterputzer. Ich kaufte ein und kochte und erledigte nebenbei alles, was bei uns so an Besorgungen anfiel. Vielleicht war es trotz allem nicht in Ordnung gewesen, dass ich diesen Brief, der eindeutig nicht an mich gerichtet war, auseinanderfaltete und las. So etwas machte man einfach nicht. Letzten Endes fand ich meine kleine Indiskretion dann aber geringfügig im Vergleich zu dem, was Daniel sich seit Monaten leistete, nämlich seine kleine Nebenfrau.
    Ach, e s wäre ja ohnehin alles rausgekommen, früher oder später. Als ich diese zwei Seiten eines albernen, blasslila Briefpapiers in den Händen hielt, war es zu spät. Ich las alles. Die beiden letzten, alles entscheidenden Sätze werde ich wohl nie vergessen : Du hast mir versprochen, dass du mit ihr reden wirst, Daniel. Entscheidest du dich für mich und das Kind und unsere Liebe?Für immer, deine Virginia .
    Damals dachte ich: Virginia? Wer zur Hölle ist Virginia? Dann fing ich an zu toben und alles ging den Bach runter.
    Einen Seitensprung hätte ich Daniel wohl noch verziehen, ziemlich sicher sogar. So etwas konnte passieren. Aber die monatelangen Heimlichkeiten, die weitschweifigen Erklärungen, wenn er morgens von angeblichen Squashabenden und dem anschließenden Bier mit irgendwelchen Bekannten erzählte. Wenn er nur etwas gesagt hätte: Ich habe mich verliebt, ich weiß nicht, was ich tun soll … etwas in der Art. Wir hätten über alles reden können. Was mich so tief verletzte, war weitaus mehr als der reine Akt, den er mit einer anderen Frau vollzogen hatte. Daniel hatte mir die Gewissheit genommen, dass wir uns nicht nur liebten, sondern ehrlich miteinander waren. Freunde, die sich alles sagen konnten. Am allerschlimmsten war jedoch die Erkenntnis gewesen, dass er mir nicht vertraut hatte.
    Nun hatte Mutter ihn überflüssigerweise über unseren Unfall informiert und er besaß auch noch die Unverfrorenheit, sich mit betroffener Miene an mein Krankenbett zu setzen. Gegen meinen Willen freute ich mich, ihn zu sehen.
    „Wie geht es dir, nun sag schon!“
    Ich rutschte etwas auf dem Kissen hoch und zog mir die Zudecke bis unter das Kinn.
    „Geht so. Ich habe noch Glück gehabt. Hat sie dir erzählt, was mit Hedda ist?“
    Daniel nickte. Sein Gesichtsausdruck wurde seltsam feierlich. So schlimm ist es nun auch wieder nicht, dachte ich, du meine Güte.
    „Ja, die Ärmste, einfach schrecklich. Wie wird sie nur damit fertig werden? Ich meine, wo sie doch immerhin gefahren ist.“
    „Ach, halb so schlimm, das wird schon wieder.“
    Daniel sah mich entgeistert an. Ich verstand gar nichts mehr.
    „Was?“
    „Du … ich meine, wegen Marc …“
    „Was ist mit Marc, was soll mit ihm sein?“, gab ich gereizt zurück. Ich fand es nicht sehr angenehm, so hilflos im Krankenbett zu liegen, und das auch noch vor meinem perfekten Exmann. Bestimmt sah ich ganz schrecklich aus . Und dann war Daniel vor kurzem auch noch Vater geworden war. Ich wollte ihn einfach nur noch loswerden. Was hatte ich überhaupt noch mit diesem Mann zu tun? Er gehörte jetzt zu einer anderen Frau, zu dieser Virginia. Daniel hatte eine Familie. Ich hatte Prellungen, fettige Haare und mein Magen knurrte.
    „Haben Sie es dir nicht gesagt? O h mein Gott!“
    Daniel hatte sonst eigentlich keinen Hang zum Melodramatischen. Doch jetzt schnappte er tatsächlich hörbar nach Luft. Mir wurde komisch zumute. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Daniel sah an mir vorbei an die Wand, er kämpfte sichtlich um die richtigen Worte. Dann ergriff er meine Hand.
    „Marc ist tot.“
    Ich schluckte, während Daniels warme große Hand die meine streichelte. Dann nickte ich. Irgendwie hatte ich es gewusst. Das war das fehlende Puzzleteil.
    „Nora, es tut mir so leid, ich konnte ja nicht ahnen ... ich meine, dass sie es dir nicht gesagt haben. Deine Mutter …“
    Ich schnaubte höhnisch und zog die Hand zurück.
    „Mutter? Du kennst doch Mutter, ich bitte dich. Die hat sich gedrückt. Kein Wort hat sie mir davon gesagt. Und die Ärzte hier werden gedacht haben, dass ich es längst weiß. Oh nein, die arme Hedda!“
    Ich musste sofort zu ihr. Meine Schwester! Ich setzte mich auf und machte Anstalten, die Beine über die Bettkante zu schwingen. Das war wohl keine so gute Idee gewesen. Sofort drehte sich alles und ich sank auf das Kissen zurück. Daniel sprang auf und blickte mich erschrocken an, so besorgt,
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