Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe
Autoren: Kerstin Michelsen
Vom Netzwerk:
so schnell wie möglich das Krankenhaus verlassen. Die Wohnung, die ich erst vor wenigen Wochen bezogen hatte, war bisher alles andere als ein Ort der Zuflucht für mich gewesen. Aber alles war besser, als im Krankenhaus zu liegen. Allein die Gerüche hier und ständig kam jemand herein. Alle kamen und gingen , wie es ihnen passte, die Ärzte, sogar die Putzfrau und die Pfleger. Man lag da und musste sie einfach machen lassen.
    D er Gedanke an die neue Wohnung brachte mich natürlich auf Daniel. Ich wollte das nicht, wollte nicht an ihn denken, nicht jetzt. Dieser verdammte Mistkerl. Wie in einer schlechten Komödie öffnete just in diesem Augenblick eine sehr junge Stationsschwester die Tür.
    „ Besuch für Sie, Ihr Mann ist da.“
    „Ich bin nicht verheiratet“, wollte ich ausrufen, da hatte Daniel sich schon mit einem riesigen Blumenstrauß an der Schwester vorbei gedrängt. Er brachte eine Wolke teuren Rasierwassers mit  herein. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte ich es ihm geschenkt. War das nicht erst letztes Jahr zu Weihnachten gewesen? Als ich noch nichts gewusst hatte.
    Da ich nirgendwohin ausweichen konnte, bekam ich einen Kuss. Daniels volle Lippen drückten sich auf meine. Ein sehnsüchtiger Stich durchfuhr mich. Mein Exmann setzte sich auf den Besucherstuhl neben dem Bett. Das Blumengebinde hielt er auf dem Schoß.
    „Entschuldige, dass ich so früh herein platze, aber ich muss heute noch nach New York fliegen, ich hätte es sonst nicht mehr geschafft. Ursula hat mich erst gestern Abend angerufen, ich hatte ja keine Ahnung!“
    Dazu musste gesagt werden, dass Daniel immer Mutters Lieblingsschwiegersohn gewesen war. Und seitdem sie von unserer Trennung erfahren hatte, war sie nicht müde geworden zu betonen, dass ich nur nicht gewusst hatte, wie man einen solchen Mann hielt: Erfolgreicher Banker, gutaussehend, klug, witzig und so weiter. Bei dem Gesicht, das ich immer zog, sei es ja kein Wunder… Dabei übersah sie völlig, dass ich dieses Gesicht, wie sie es nannte, durchaus nicht immer zog, genau genommen eigentlich fast nie. Außer, wenn sie zufällig in der Nähe war. Was auch immer der Grund gewesen sein mochte, weshalb Daniel seine Finger nicht bei sich hatte behalten können, weshalb er sich in eine andere Frau verliebt hatte: Meine Mutter würde nicht davon zu überzeugen sein, dass ich vielleicht nicht selbst schuld an allem war. Dass Daniel auch nur einer von den Männern war, die, wenn sie in die mittleren Jahre kamen, mit Assistentinnen aus ihrem Büro ins Bett sprangen, die gut und gerne ihre Töchter sein könnten. Besonders originell war das nicht, dennoch hatte es meine ganze Welt in Trümmer gelegt, als ich im Frühjahr diesen Brief in seinem Sakko fand. Wie in einem Groschenroman. Wenn es nicht so furchtbar weh getan hätte, dann hätte ich gern darüber gelacht. Tat ich aber nicht.
    Und dabei hatte i ch nicht einmal herumgeschnüffelt. Warum hätte ich das auch tun sollen, ahnungslos, wie ich zu dieser Zeit war. Überhaupt, so war das nicht gewesen zwischen Daniel und mir, ich hatte ihm immer vertraut. Ich war mir immer durchaus bewusst gewesen, dass er auf viele Frauen attraktiv wirkte. Ich bildete mir zumindest ein, über kleinliche Eifersucht erhaben zu sein. Im Gegenteil, ich war doch stolz gewesen, dass dieser Mann zu mir gehört hatte. Und ich war es schließlich, zu der er jeden Abend nach Hause zurückkehrte. Wir ließen uns unsere gegenseitigen Freiheiten und ich musste nicht unbedingt immer so genau wissen, wo er war, wenn er einmal ohne mich ausging. Vielleicht hatte ich deswegen so lange nichts bemerkt. Wir hielten beide nichts davon, nur noch paarweise aufzutreten. Es war schlicht Zufall gewesen, dass ich an diesem Tag ausgerechnet den dunkelgrauen Anzug, den er dafür beiseitegelegt hatte, mit einem Haufen Hemden in die Reinigung bringen wollte. Wie immer kontrollierte ich sicherheitshalber die Taschen. Was hatte Daniel nicht schon alles darin gelassen, vom Personalausweis bis zu der silbernen Geldklammer mit zweihundert Euro darin.
    Die Reinigung gehörte zu meinen Aufgaben, wenn man so wollte, zum Ausgleich dafür, dass ich nur halbtags arbeitete. Wir hatten das so zwischen uns aufgeteilt, ohne viele Worte darüber zu verlieren. Daniel verdiente ohnehin so viel mehr, als ich mit meinem Beruf jemals einnehmen könnte. Trotzdem war ich kein Heimchen am Herd, im Gegenteil, ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Und ich genoss meine Freiheit und diesen Luxus,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher