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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen
Autoren: Michael Siefener
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Berge zeigten wie Nadeln
auf Sterne, die beinahe so groß wie die Monde waren, und
über dichtes Gras schlängelten sich Formen, die keinen
irdischen Tieren glichen. Dann, als wir weiter hinabstiegen,
änderten sich die Formen, sie wurden zu Wesen, die uns
zuerst heimlich, dann unverhohlen anglotzten.
    Und sie versuchten, die Wand zu durchbrechen!
    Ich hörte, wie der Putz absprang; die glatte Fläche
wölbte sich vor wie eine Haut, die von innen heraus mit
Leben gefüllt wird. Auch Gramm bemerkte es. Er packte meine
Hand, als ob sie ihm helfen könnte, und stolperte
abwärts. Hinter uns raschelte es. Es tropfte. Es war wie der
Aufschlag unglaublich großer Tropfen. Zäher Tropfen.
Wir wagten nicht hinter uns zu schauen. Wir rannten in irrer Hast
die Stufen hinunter, und kein Gang, kein Stockwerk erschienen
mehr, wohinein wir uns hätten retten können. Bald ging
mir die Luft aus. Ich atmete flüssiges Feuer. Die Flucht war
zu Ende. Ich blieb erschöpft stehen und schaute mich um.
Auch Gramm hielt inne.
    Hinter uns war nichts. Nichts als ein schwacher Geruch, der
uns nun einholte. Er war süßlich und beißend
zugleich wie verfaulendes Fleisch. Und in diesem Geruch schien es
zu wimmeln. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Es
umwimmelte uns, und ich glaubte es sogar auf meiner Haut zu
spüren. Es waren die Bilder und die Wesen aus den
Wänden.
    Ich weiß nicht mehr, wie wir es schafften,
weiterzulaufen. Irgendwann kamen wir abermals an einen Gang. Der
Geruch hatte sich inzwischen verflüchtigt.
    Wir lugten um die Ecke. Dort saß ein Wächter,
hinten, wo die Schatten begannen. Und der Wächter selbst war
kaum mehr als ein unförmiger Schatten. Wir hielten den Atem
an. Da hörten wir, wie der Wind um das Haus stöhnte.
Wir hörten ihn jetzt so deutlich wie zuvor, als wir zu
unserer unsinnigen Flucht aufgebrochen waren. Aber –
deutete der Wind nicht an, daß es hier irgendwo einen
Ausgang gab? Irgendwo auf dieser Etage, die das Erdgeschoß
sein mußte? Gramm und ich hatten offenbar denselben
Gedanken gehabt. Wir sahen uns an, nickten und liefen in die dem
Wächter entgegengesetzte Richtung. Der Gang führte im
Geviert, wie alle anderen Gänge auch. Nirgendwo war ein
Ausgang, doch der Wind wurde lauter und lauter. Er drang aus den
offenen Zimmern und jaulte im Gang umher. Hinter der
nächsten Biegung mußte der Ausgang sein, da waren wir
uns sicher. Mit unseren letzten Kräften erreichten wir den
Knick in dem Schlauch der Hoffnung und huschten um die Ecke.
    Alles war Hoffnung gewesen, alles hoffende Täuschung. Wir
standen dort, von wo aus wir zu unserer kleinen Reise
aufgebrochen waren. Vor meiner eigenen offenen Zimmertür.
Und daneben saß der Wächter, der uns nun entdeckt
hatte. Ich sah, wie sich seine unförmige Masse bewegte.
Schatten liefen an seinem wuchernden Körper auf und ab wie
winzige Raupen oder Würmer. Es waren keine Hände, die
er nach uns ausstreckte, es war etwas schrecklich anderes. Ich
huschte zwischen den Auswüchsen hindurch, durch meine offene
Zimmertür und schlug sie hinter uns zu. Nein, nur hinter
mir. Ich hatte das Gefühl gehabt, daß Gramm bereits
vor mir das rettende Zimmer betreten hatte, doch ich war allein.
Und dann hörte ich die Schreie. Gramms Schreie. Sie
besaßen nichts Menschliches mehr. Sie vergurgelten, als
tauche das Opfer in einen See aus Schleim.
    Die ganze Nacht über habe ich nachgedacht:
über unseren Ausflug, doch auch über die Dinge, die
vorher geschehen sind. Wann war dieses Vorher? Es war die Zeit,
bevor ich in dieses Haus kam. Das Nachdenken hat mir kaum etwas
genützt, ich weiß nicht viel mehr, als ich schon
vorher wußte. Morgen ist die Trauerfeier für Gramm.
Man fand ihn heute morgen vor meiner verschlossenen Tür. Die
Todesursache ist nicht bekannt; angeblich steht auf dem
Totenschein: Herzversagen.
    Ich gebe auf.

 
Fünftes Bild
DIE RÜCKKEHR
     
     
    Nachdem er als geheilt entlassen worden war, machte er sich
auf die Suche. Er hatte ein kleines Zimmer in einer kleinen Stadt
gemietet, mit einer kleinen Aussicht auf einen kahlen kleinen
Hinterhof. Er hatte gehofft, daß diese Umgebung seine
Träume zügeln werde, doch er hatte vergeblich gehofft.
Oft zweifelte er daran, ob seine Entlassung in die Welt richtig
gewesen war.
    Eines Nachts wußte er plötzlich, was er tun
mußte. Er mußte jene Stadt aufsuchen, die er damals
verlassen hatte, jene Stadt, in der seine Träume
ausgetrocknet
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