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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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Vergleich kann da niemand mithalten.
    Es fängt schon im Sandkasten an.
    Konsequent und effizient wird der Nachwuchs von klein auf zu Menschlein erzogen, die Anstoß nehmen. Deutsche Mütter wissen, dass dies ein wichtiger Teil des Lebens ist, und schieben es nicht vor sich her, das ihren Kindern einzuprägen.
    Die kanadische Journalistin Carrie D. berichtete von den Nörgelerziehungsmethoden auf Berliner Spielplätzen: »Seit ich selbst ein Kind habe, fällt mir auf, wie anderen kleinen Kindern schon auf dem Spielplatz beigebracht wird, klar und deutlich zu sagen, was ihnen nicht passt. In Nordamerika weist man Kinder an, höflich zu sein, sich zurückzuhalten, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Eines Tages saß ich am Sandkasten und ein Junge hat einem anderen Jungen eine Schaufel weggenommen. Eine amerikanische Mutter hätte gesagt: ›Lass ihn doch eine Weile damit spielen, wenn er das will, und dann bitte ihn, dir die Schaufel zurückzugeben, wenn er fertig ist.‹ Sie würde denken, ihr Kind soll erstens teilen üben, und zweitens könnten die beiden auf diese Weise auch lernen, zusammen zu spielen. Außerdem würde das andere Kind sowieso wahrscheinlich bald das Interesse an der Schaufel verlieren. Die deutsche Mutter, deren Sohn die Schaufel gehörte, reagierte völlig anders. Sie wird gedacht haben, dass der Junge lernen muss, seinen Besitz zu verteidigen, und wenn er es nicht jetzt trainiert, würden künftig alle auf ihm rumtrampeln. Sie machte ihm ganz klar, dass er zurückgehen und dem Jungen deutlich sagen muss, dass das nicht okay war, und dass er seine Schaufel wiederhaben will. Natürlich tat er das dann auch.«
    Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich die große Ehre, leibhaftig ein solches Beispiel gezielter Nörgelerziehung mitzubekommen.
    Nicht weit von meiner Wohnung liegt ein altes Schöneberger Brachgelände, das wegen einer angrenzenden Firma einen durch Chemikalien verseuchten Boden hat, wodurch so gut wie nichts wächst – ein bisschen Gras, ein oder zwei Sträucher, aber keine Bäume. Das Gelände ist eingezäunt, doch daneben liegt ein kleiner Park mit viel Grün, und an dem Zaun führt ein Pfad entlang, wo man joggen kann, und eben das mache ich ab und zu.
    Kürzlich hat man begonnen, dieses Brachgelände nutzbar zu machen. Man hat die Erde ausgehoben und ausgetauscht. Wochenlang wurde gebaggert und planiert. Danach hat man ein Basketballfeld, Tische und Bänke installiert sowie ein paar Dutzend Bäume gepflanzt und Wege angelegt. Vor den Hügeln aus neuer, frischer Erde stand ein riesiges Schild, das erklärte, was hier vor sich ging. Eines morgens stoppte ich beim Joggen vor der Tafel, um sie zu lesen, und just in dem Moment radelte eine Mutter mit einem Kind hintendrauf vorbei, und ich hörte, wie das Kind fragte: »Mama, was machen die da?«
    Ich konnte mir die Vorfreude des Jungen vorstellen. Er muss geahnt haben, dass hier etwas Neues kommt, und es wäre nicht weit gefehlt, anzunehmen, dass ihm schon Visionen im Kopf herumspukten: von Picknicks mit der Familie, von Ballspielen, Grillen und Drachensteigen mit dem Papa und von einem Hund, der einem immer zwischen den Beinen herumrennt. Eine wunderbare Vision, da muss man einfach nachfragen: »Mama, was machen die da?«
    Was ich hörte, als die Mutter eine Antwort gab, ohne auf die Tafel zu gucken, machte mich stolz auf die deutsche Nörgelkultur:
    »Wird zugebaut, allet.«
    So wie Kinder auf Spielplätzen mit Gleichaltrigen ihre gesellschaftlichen Fähigkeiten erproben, gibt es auch für Heranwachsende öffentliche Orte, wo sie ihre Nörgelfähigkeiten verfeinern können. Das nennt man die deutsche Gastronomie.
    Eine Dokumentarfilmerin, die ich kenne, beschwerte sich einmal darüber, dass die Kids heute nur noch bei McDonald’s rumhängen. »Das ist schlimm«, klagte sie, »als ich jung war, traf man sich im Café, das hatte noch was von Kultur, man setzte sich ordentlich hin und hatte richtige Teller, und man schrie nicht durch die Gegend, weil die Atmosphäre das nicht erlaubte. Heute gehen die Kids zu McDonald’s, wo sie rumlümmeln und laut durcheinanderquatschen können, dazu noch hektisch hin und her laufen und dabei telefonieren – sie haben keine Kultur mehr.«
    Es stimmt schon, dass Kids eine gewisse Neigung zum laut Durcheinanderquatschen und Rumlümmeln haben, dennoch war ich nicht restlos davon überzeugt, dass ein Treffen bei McDonald’s, wo sie endlich mal frei von der erdrückenden Aufsicht der Erwachsenen wären,
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