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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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grundsätzlich eine Verlotterung der Gesellschaft darstellte. Sie klärte mich auf:
    »Es geht um die Beziehung zur Kellnerin«, murrte sie. »Bei McDonald’s gibt es keine Kellnerin. Man bestellt an der Theke. Man lernt nicht, mit einer Bedienung umzugehen.«
    Das ist in der Tat für die weitere Entwicklung eines Jugendlichen äußerst wichtig. Allein das stundenlange Anstehen vor einer Theke in einer überfüllten In-Location in einer Großstadt, ohne vom Barkeeper beachtet zu werden, stärkt den Charakter. Erst im Umgang mit der Bedienung lernt man in Deutschland das gepflegte Maßregeln und Beanstanden auf höchstem Niveau.
    Die in München lebende Neuseeländerin Victoria Johnson hat viel Erfahrung mit Kellnern.
    »Die Kneipe gibt es nicht mehr«, sagte sie, als ich sie anrief und nach Beispielen fragte. »Es war das Scheidegger in München. Das Schnitzel und die Pasta waren gut, und die Kellner kannten mich. Eines Tages bestellte ich ein Gericht, ich bekam mein Bier, ich trank mein Bier aus, ich wollte nichts sagen, aber mittlerweile saß ich schon eine ganze Weile herum. Als ich es nicht mehr aushalten konnte, fragte ich freundlich, ob man vielleicht meine Bestellung vergessen hätte. Ich weiß natürlich, dass ein deutscher Kellner sowas niemals zugeben würde, aber was er darauf sagte, war selbst für mich überraschend: ›Wenn du schnell essen willst, geh zu McDonald’s.‹ Er hatte es geschafft, in einem Satz zu verneinen, dass er die Bestellung vergessen hatte, und mir auch noch das Gefühl zu geben, dass ich ein blöder Proll bin, der nicht hierher gehört. Alle Achtung.«
    Ich habe einen guten Freund in Berlin, Ralf I., der sich aus Prinzip weigert, Hefeweizenbier zu trinken. Er behauptet, das sei kein Bier, sondern eine ekelhafte Suppe, doch ich ahne, dass es einen anderen Grund gibt: Er weiß nicht, wie man ein Hefeweizen zurückschickt. Ich war nämlich noch nie mit ihm in einer Kneipe, ohne dass er mindestens ein Bier zurückgehen ließ. Es tut ihm einfach gut. Ich fragte ihn einmal, wie er das immer schafft. Er sagte, er hat zehn Gründe, die er abwechselnd benutzt. Vermutlich funktionieren diese aber nur bei Pils. Hiermit teile ich sein Geheimnis der Öffentlichkeit mit:
Das Pils schmeckt schal – es stand zu lange im Hahn.
Das Pils hat keine Krone.
Das Pils wurde unter sieben Minuten gezapft.
Das Pils wurde über sieben Minuten gezapft.
Das Pils ist warm.
Das Pilsglas hat Fingerabdrücke drauf.
Das Pils ist aus der Flasche.
Das Pils ist aus der Dose.
Das Pils ist ein Warsteiner.
Ich habe schlechte Laune, und man merkt mir das so sehr an, dass ich keinen Grund anzugeben brauche.
    Ich beneide den Deutschen um sein Gastronomie-Gemoser. Das hat mir tatsächlich in meiner amerikanischen Erziehung gefehlt, und ich gebe zu, das hat gewisse Nachteile.
    »Als ich für eine amerikanische Firma arbeitete«, erzählte Victoria, »wurden zwei deutsche Kollegen und ich zu einem Kongress nach Pittsburgh geschickt. Wir gingen in ein Steak-Restaurant. Die Kellnerin kam an den Tisch und stellte sich mit Namen vor. Sie war sehr freundlich und fragte uns mehrmals, ob unsere Drinks okay waren und so. All das war für die Deutschen etwas Neues. Als die Steaks kamen, stimmte irgendwas nicht. Sie waren nicht gut. Die Kellnerin tauchte auf und fragte, ob alles okay sei. Meine Reaktion als Neuseeländerin war: ›Alles wunderbar‹, obwohl ich die ganze Zeit darüber gemeckert hatte. Aber die Deutschen sagten: ›Nein, es ist nicht alles in Ordnung, das Steak ist zäh‹. Sie waren sachlich, aber sehr genau. Die Kellnerin antwortete: ›Das ist schrecklich, ich rede mit der Küche und schau, was ich tun kann.‹ Und wir sahen sie nie wieder. Sie tauchte erst wieder auf, nachdem unsere Teller leer waren, legte uns die Rechnung hin und fragte freundlich: ›Alles in Ordnung?‹ Zu diesem Zeitpunkt hatten meine Kollegen bereits aufgegeben. Sie seufzten nur: ›Ja, alles in Ordnung.‹«
    Der wichtigste Übungs- und Tummelplatz für die Nörgelei ist die Sprache selbst. Früher haben Dichter die Sprache nach ihren ästhetischen Standards geformt. Heute wird die Sprache den Standards der Bedenkenträger angepasst.
    Nur Deutschland feiert jedes Jahr ein neues »Unwort«. Meine Heimat zelebriert ein »Wort des Jahres«, die Deutschen übrigens auch, und das seit 1977, allerdings hat es hier niemanden je wirklich interessiert. Da kam man 1991 auf die Idee, ein »Unwort« ins Leben zu rufen – und hatte einen Hit gelandet.
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