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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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Hinterherlauschen; es ist die erhebende Empörung, dass man es doch hätte besser machen können, wenn Frau Merkel nur auf einen gehört hätte. Es ist die schaudernde, erregende Angst: Wenn er nicht endlich anfängt, die Zahncremetube zuzumachen, werde ich ihn verlassen! Der Rausch der Verzweiflung: Aber habe ich den Mut dazu? Dann bin ich allein. Der kitzelnde Flirt mit dem Endgültigen: Da bringe ich mich lieber gleich um. Es ist das Martyrium aus dem Nichts, das aus dem stinknormalen Menschen einen Helden macht: Und was wird er wohl ohne mich anfangen? Er kann doch gar nicht für sich selber sorgen. Dann schraube ich die Tube lieber selber zu. Und morgen auch. Und übermorgen. Bald bin ich 30 Jahre mit diesem Arsch verheiratet – Jesus musste nur drei Tage leiden. Und am Ende ist Nörgeln auch die aufgewühlte Erotik des Unterwerfens – denn wenn man den Arsch, der zum 560sten-mal die Zahnpastatube nicht zumacht, nicht verlassen kann, so ist er doch der Stärkere geblieben – noch dazu ein Stärkerer mit verdammt gut gepflegtem Gebiss.
    Es ist wie eine Achterbahn der Gefühle, eine Seifenoper, in der man selbst der Hauptdarsteller ist. Nörgeln ist ganz großes Kino, das man lebt, und bedenken Sie: Heute kostet eine Kinokarte mindestens acht Euro – das bisschen Nörgeln kostet nur Nerven.
    Ich schätze mich jeden Tag glücklich, dass ich als ausgewanderter Amerikaner in einem Land leben darf, wo das Nörgeln wie ein feiner Wein geschätzt wird, wo alle seine Ausformungen, vom simplen Quengeln über praktisches Schimpfen bis hin zur abstrakten Kulturkritik, wie Jahrgänge und Rebsorten erkannt, diskutiert und zelebriert werden:
    Jammern klingt wie süffiges, schmatzendes, vollmundiges Ur-Nörgeln;
    Maulen riecht nach muffigem, einfallslosem Maulwurfsgemurmel;
    Kritisieren erzeugt ein scharfkantiges, frisch-spritziges, mitunter herbes Nörgeln;
    Quengeln dagegen ist ein kindlich-unschuldiges, zielloses, nicht ausgereiftes Nörgeln;
    Mosern macht auf naseweises, kritteliges Nörgeln, das Kopfschmerz verursachen kann;
    Herumkritteln ist schlecht komponiertes Reste-Nörgeln mit pelzigem Nachgeschmack;
    Bedenkentragen ist nörgeln in Bandwurmsätzen, Bremsen ist nörgeln in die Tat umgesetzt, Schadenfreude ist nörgeln im Nachhinein, und Wimmern ist nörgeln ohne Worte.
    Hierzulande weiß man auch ganz genau, zu welchem Anlass welche Nörgeltechnik am effektivsten einzusetzen ist:
    Will man jemanden in die Fresse hauen, bringt aber nicht das dazu notwendige Adrenalin auf und sagt ihm stattdessen »endlich mal die Wahrheit«, ist das Kampfquengeln;
    diskutiert man mit den Kollegen rege, witzig und fasziniert in der Kaffeeküche, im Flur, in der Kantine, auf dem Klo, handelt es sich um Büro-Beckmessern;
    plärrt man ständig über Politik, hat aber das Problem, dass einem keiner zuhört, weil die Kritik weder neu, aussagekräftig noch besonders witzig ist, macht dies aber auf einer Bühne, dann ist das politisches Kabarett;
    will ein Politiker im fünftreichsten Land der Welt, in dem die soziale Absicherung besser ist als in 99 Prozent aller anderen Länder, mit ernsthafter Miene vor zunehmender sozialer Kälte warnen, handelt es sich um Wählerfang-Lamento;
    bringt der Spiegel die erfreulichen Nachricht, dass der NPD die Wähler davonrennen, und versieht sie mit der Furcht erregenden Überschrift, die lautet: »NPD kann auf rechtsextreme Stammwähler bauen!«, ist das eine wirtschaftlich sinnvolle Nörgelei, die auf Ihre 3,80 Euro abzielt;
    flattert ein Schreiben vom Finanzamt ins Haus, in dem das Wort »Pfändung« mehrmals auftaucht, ist das eine peinliche, hirnverbrannte, primitive Korinthenkacker-Besserwisserei, und ich will es nicht mehr sehen.
    Aber: Wenn ein Autor ein Buch über das Nörgeln schreibt, ist das natürlich ganz was anderes.
    Die allererste Äußerung aus dem Munde eines Neugeborenen ist lautes Nörgeln. Wie sonst wollen Sie das herzhafte Geschrei eines Säuglings interpretieren? Könnten wir das erste, enthemmte Ur-Wort eines frisch gebackenen Babys verstehen, würden wir ganz sicher feststellen, dass es sowas ausdrücken will wie: »Was soll der Scheiß? Was seid ihr für Typen überhaupt?« Und das immer wieder, bis die Eltern an den Rand der Verzweiflung getrieben werden.
    Nicht nur der Mensch nörgelt. Auch Tiere tun es.
    »Im Wesentlichen geht es beim Nörgeln um das Wiederholen eines Wunsches oder einer Beschwerde, immer wieder«, sagte die Amerikanerin Amy Sullivan, als ich sie
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