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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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Natur aus Optimisten, also rief man mich. In einem Gespräch vor der Veranstaltung klagte mir der Vorsitzende sein Leid: Dass man in Deutschland immer alles schwarzmale, sei furchtbar, eine schlimme Sucht sei das, von der man nicht loskäme, man wüsste eigentlich, dass man abgesichert sei, und dass es auch wieder bergauf ginge und selbst in einer Finanzkrise ginge es den Deutschen besser als den Menschen in anderen Ländern, doch jede Kleinigkeit würde als Zeichen für das Ende der Welt gedeutet. Das nerve ihn, er hielte es nicht aus. Ich sollte den Jammerlappen klarmachen, dass sie auch mal optimistisch sein könnten.
    Die Veranstaltung begann, und er stand auf, um mich der Gruppe vorzustellen. Interessant war, wie er es tat: »Meine Damen und Herren, es ist schlimm um uns bestellt und es wird noch schlimmer …« Und in diesem Tenor ging es zehn Minuten lang.
    War das nicht genau das Gegenteil dessen, was er glaubte, oder zumindest, was er mir gerade gesagt hatte?
    Doch als ich die Zuschauer anguckte, verstand ich. Ich spürte, wie alles im Raum sich schlagartig konzentrierte. Weg war die lockere Atmosphäre. Es wurde still, die Blicke wurden intensiver, alle Aufmerksamkeit wurde auf den Punkt fokussiert, den er ihnen vorgaukelte: die nahende Katastrophe. Erst dann war die Bühne für mich bereitet.
    Vor seiner Nörgelouvertüre war ich nur ein grundlos optimistischer Amerikaner; jetzt war ich jemand, dem man zuhören sollte – ja musste, um nicht völlig unterzugehen.
    Nörgeln schafft Zusammenhalt.
    Lange Zeit war ich bei deutschen Frauen nicht erfolgreich. Ich konnte sie ansprechen, ich konnte eine anfängliche Konversation eingehen. Ich glaube sogar, ich habe in vielen Fällen Interesse geweckt. Doch dann passierte Folgendes: Das Thema kam auf Popkultur oder auf gemeinsame Bekannte oder sogar auf Politik. Ihr grauste es vor Reality-TV; ich empfand es immerhin frischer als alles, was man in den öffentlich-rechtlichen Sendern zu sehen bekommt. Sie vertrat die Ansicht, dass Georg danebengegriffen hatte, als er Claudias Wunsch ausschlug, nach drei Monaten gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Ich fand, das war Georgs Problem. Sie war überzeugt, dass eine verheerende Klimakatastrophe auf uns zusteuert und dass der unverantwortliche Wohlstand, den wir angehäuft haben, bald in alle vier Winde zerstreut sein wird. Ich dagegen hatte noch nie in einer deutschen Zeitung eine Vorhersage gelesen, die dann tatsächlich eingetroffen ist. Die Beziehung war vorbei, bevor sie anfangen konnte.
    Doch irgendwann begriff ich, und es eröffneten sich mir völlig neue Welten. Ich entdeckte das Prinzip des Harmonienörgelns: Man ziehe gemeinsam über irgendwas Drittes her und komme sich so näher – in der Kneipe, im Kino und irgendwann bei Ikea. Die meisten Kinder, die heute noch in Deutschland geboren werden, haben ihr Leben im Prinzip dem Harmonienörgeln zu verdanken.
    Seitdem nörgele ich vor dem Spiegel, so oft ich kann, wiege bedenkenschwer mein Haupt und übe eine kritische Miene, obwohl es das Rasieren schon etwas erschwert.
    Heute weiß ich, dass ich schon in meiner Heimat Hawaii dann und wann genörgelt habe. Für mich als kleinen Jungen gab es dort entschieden zu wenig mittelalterliche Burgen, und die ganzen Mangos konnte ich irgendwann nicht mehr sehen. Trotzdem bin ich Deutschland dankbar, dass ich hier das volle Potential der Mäkelei erst richtig kennenlernen konnte. Ich entdeckte eine wunderbare, vielschichtige und mit Überraschungen gespickte Welt. Wer lernt, das Leben durch die Brille des Nörgelns zu betrachten, wird Zeuge einer Urkraft, die einen Menschen, ein Paar, ja, ein ganzes Volk umwälzend verändern kann. Ich hoffe, mit diesem Buch kann ich Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, die/der eine treffende Krittelei dann und wann zu schätzen weiß, diese wunderbare, verborgene Welt etwas näherbringen.
    Ich fange da an, wo auch ich in Deutschland angefangen habe: Mit einem Blick auf das deutsche Nörgeln mit den Augen eines Ausländers.

2 . Der Nebel des Nörgelns
    Das deutsche Gesamtmeckervolumen im internationalen Vergleich
    Jeder kennt es. Und wer es nicht selbst erlebt hat, hat es von anderen gehört: Man hat gerade den Urlaub seines Lebens hinter sich. Eine Woche New York. Diese vibrierende Stadt, die selbst im letzten Landei das Gefühl weckt, alles sei möglich, wenn man sich nur traut; diese Stadt, die irgendein längst vergessenes Mach-Was-Hormon freisetzt; wo jeder, auch der Ängstlichste,
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