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Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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der Allmend», sagt Lis. «Mein Patenkind hat sich dort einen Zahn ausgeschlagen.»
    Alice lächelt Alexander an. «Mit einem richtigen Hochhaus hättest du nicht so viele Kinder entzückt. Es musste wohl so kommen.»
    «Du redest wie mein Großvater», sagt Manu. «Der tut auch immer so, als hätte alles seine Richtigkeit.»
    «Hat es doch auch», sagt Alice. «Man erkennt es einfach erst hinterher.»
    «Nein», sagt Fleur. «Dass meine Freundin in eine Sekte eingetreten ist, ist nicht gut, wird es nie sein. Und wenn ich nur wegen schlechter Noten in Mathematik und Physik von der Schule fliege, ist das auch nicht richtig.»
    «In unserem Alter neigt man dazu, Lebensgeschichten so zu erzählen, dass sie nicht sinnlos erscheinen», sagt Alexander.
    «Alexander. Kein Leben ist sinnlos.» Alice blickt ihn streng an.
    «Entschuldige.» Er legt seine Hand auf ihren Arm. Zu Fleur sagt er: «Jetzt hast du alles gesehen. Wie willst du vorgehen?»
    «Ich prüfe die Lichtsituation im Dachstock. Ihr könnt derweil Tee trinken.»
    «Ich bereite die Requisiten vor», sagt Lis.
    «Wer hilft mir, die Matratzen in den Garten zu legen und das Auto bereitzustellen?», fragt Pascal. «Ich», sagen Manu und Alice gleichzeitig und lachen über die Übereinstimmung.
    Fleur steigt mit Fototasche und Stativ in den Dachstock hinauf. Oben ist ihr heiß. Sie öffnet die Fenster und stellt sich in die einströmende Luft. In einiger Entfernung sieht sie eine Frau auf dem Trottoir. Wohnt nicht Miriam in der Gegend? Die Frau nähert sich. Fleur erkennt die Art, wie die Arme schlenkern. Sie winkt, doch die Frau sieht nicht zu ihr hinauf. «Sarah», ruft Fleur, «Sarah!» Die Frau bleibt stehen, blickt hinter sich. Einen Augenblick lang sieht Fleur ihr Gesicht. Das Gesicht mit den Härchen, die sich im Gegenlicht dunkel abheben von der Oberlippe. Das Gesicht mit dem roten Punkt im linken Augenweiß. Jetzt ist das Gesicht nur ein heller Fleck. Die Frau dreht den Kopf und geht weiter.
    Wie kann Sarah alles aufgeben, das ihr wichtig war? Ihre Freundschaft, ihr Denken, ihre Selbständigkeit, ihre Familie. Was erhofft sie sich davon? Was bekommt sie dafür? Fleur steht und starrt. Warum hatte sie nicht bemerkt, dass Sarah etwas fehlte? Fleur hört Schritte im Treppenhaus. Schnell dreht sie sich um. «Ist diese Lampe gut?» Alexander stützt sich an der Wand ab und steckt das Kabel einer Stehleuchte ein. «Du kannst sie nach allen Seiten ausrichten.» Er dreht die Blende zur Decke. An Marias Balken kleben Spinnfäden. «Danke, die ist sogar sehr gut.» Fleur misst die Lichtstärke an verschiedenen Stellen im Raum, stellt das Stativ auf und schaut durch den Sucher. «Könntest du bitte den Reflektor halten?»
    «So?»
    Sie misst das Licht von neuem, korrigiert den Winkel des Reflektors. «Prima. Es kann losgehen.»

15
    Alice legt sich mit einem Kissen unter den Knien aufs Sofa. Der Rücken tut weh, die Füße sind aufgequollen. Der Tag war groß. Zu groß für ihren Körper. Alexander, Fleur, Pascal, Lis, Manu, der Sprung aus dem Fenster, Alexanders Haus, seine Fotos, seine Stimme, sein Geruch. «Kommst du zu mir?», hatte er abends in der Pizzeria gefragt. Sie wollte Ja sagen. Sie wollte mit ihm auf dem Sofa sitzend den Tag verdauen, an ihn geschmiegt einschlafen. Ihr Waschtag hielt sie davon ab. Jetzt spürt sie ihr Weggehen überall. Es ist, als schmerzte etwas, das nicht da ist. Wie der Phantomschmerz nach einer Amputation. Sie kennt das Gefühl. Sie dachte, es sei ein vergangenes.
    Bevor sie Alexander besuchte, war alles durcheinander: Bedenken, Erwartung, Unsicherheit, Neugier, Freude, Hoffnung, Verlegenheit, Aufregung. So ging sie durch seinen Garten. Aus seiner Stimme hörte sie, dass es ihm gleich ging. Er wollte ihr etwas abnehmen, obwohl sie nur die Handtasche bei sich hatte. Im Haus standen sie sich reglos gegenüber. Sie traute sich nicht. Sie wartete, dass er. Alice lächelt. Sie benahm sich wie früher. Dann, in seinen Armen, war alles weg. Und alles da. Verlangen, Hoffnung, Bedenken, Unsicherheit, Wärme, ihr Leben, sein Leben.
    Die Jungen schienen nicht überrascht. Fleur vielleicht schon. Aber sie sagte nichts. Wie gut sie organisiert war. Als Alexander am Wehr den Vorschlag gemacht hatte, die Fotos in seinem Haus aufzunehmen, dachte Alice, er werde die Sache in die Hand nehmen. Sie hatte sich geirrt. Natürlich war er der Hausherr – wie überall. Aber er hielt sich zurück. Während die Jungen die Szenen im Garten vorbereiteten,
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