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Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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Gentechnologie will sie nichts zu tun haben. Sie zieht die Jacke aus, setzt sich vor dem Bett zu Boden.
    See that girl, watch that scene, auch das noch, ABBAS Dancing Queen. Babs und Cindy hörten während der Primarschulzeit eine Weile nichts anderes. In den Pausen diskutierten sie, ob Agnetha oder Anni-Frid hübscher sei, dabei gab es die Band schon lange nicht mehr. Fleur ist rothaarig, also weder Anni-Frid noch Agnetha, und sie schwärmte damals für die Lieder Mani Matters, in denen Kater Ferdinand um Liebe wirbt und ein Tram auf dem letzten Kurs statt ins Depot in den Himmel fährt. Endlich verstummt die Musik. Die Nachbarn rufen «The winner takes it all». Zum Glück ist sie nicht unten. Erwachsene, die sich gehen lassen.
    Am Fuß ihrer Holztruhe liegt abgeblätterte Farbe. Sie sollte das Möbelstück frisch streichen. In den Sportferien, in denen sie Zeit gehabt hätte, schlief sie, las einen Krimi, zu mehr reichte es nicht. Als die Klassenkameraden in der Stadt eine Party veranstalteten, ging sie nicht hin. Wer tanzt mit wem, wer küsst wen, wer ist wie angezogen, wer trinkt wie viel. Alle sind aufgekratzt, einige kotzen. Und danach im Nachtbus von älteren Männern angequatscht werden und im Dunkeln nach Hause gehen. Lieber ist sie alleine.
    ABBA singt in voller Lautstärke The winner takes it all. Sie stopft Wachs in die Ohren. Die Gewinner sind weit weg. Wäre sie doch auch weit weg. Vom Schrank schauen der Bär und der Elefant auf sie hinab, vom Büchergestell die Puppen. Tobias ist umgekippt, von Julias Strampelhose zu Claudias Haar zieht ein Spinnfaden. Früher konnte Claudia alles. Das Einmaleins, lesen, den Spagat, den Salto, und in ihrem Haar hielt das Krönchen ohne Gummiband. Tobias war ihr Prinz. Fleur steht auf und setzt ihn gerade hin.
    Auch auf den Kinderbüchern liegt Staub. Sie fährt mit dem Finger darüber. Der Elefant wächst in der Stadt auf. Elisabeth wird geheilt. Das kleine Gespenst braucht keinen Schlüssel, um ins Zimmer zu schlüpfen. Das Zimmer. Sie kennt jeden Winkel, die Unterseiten von Bett und Pult, die Astlöcher in der Dachschräge über dem Bett.
    Alice hört Gejohle, als der Hörer abgehoben wird. «Hallo Martin, bist du es?»
    «Alice! Warte», die Stimmen im Hintergrund werden leiser. «Verzeih, ich schaue einen Boxkampf am Fernseher. Wie geht es dir?»
    «Ich brauche deinen Rat.»
    «Worum geht es?»
    «Dieser Mann aus dem Radio. Ich möchte ihn kennenlernen. Was soll ich ihm schreiben?»
    «Sehr geehrter Herr Soundso, ich möchte Sie kennenlernen.»
    «Das geht nicht.»
    «Warum?»
    «Ich will mich nicht lächerlich machen.»
    «Was ist daran lächerlich? Er sagt auch, dass er sich für deine Musik interessiert.»
    «Ich kann das nicht.»
    «Dann weiß ich auch nicht weiter.»
    «Ach, komm.»
    «Schreib ihm, dass du dich über seine Musikwünsche freust.»
    «Was wäre ich ohne dich, Martin! Bis bald.»
    Alice hängt auf. Martin. Seine Stimme, seine Arme um sie. Sie waren ihr Zuhause. Mit achtzehn drückten sie zaghaft. Alice hatte Mühe, die Berührungen zu deuten. In der Turnierzeit trainierten sie Missverständnisse weg. Martin hatte sie im Griff. In den letzten Jahren genügten schwache Impulse, um sich zu verständigen. Sie kannte jede Regung seines Körpers. Bahnte sich Streit an, war sein linker Arm steif, war Martin traurig, führte er lasch. Im Glück wurden seine Arme zu ihren, sie hatten vier Füße, waren Vor- und Rückseite. Ob er mit seinem Freund auch tanzt? Sie schaut aus dem Fenster. Auf dem Dachfirst gegenüber hackt eine Krähe auf etwas Rundem herum. Eine Nuss? Alice begreift nicht, was Martin mit Pong verbindet. Er sei fröhlich, sagt Martin, zärtlich. Jeden Tag sage er, wie gut Martin aussehe, wie groß er sei, wie kräftig. «In der Schweiz wäre ich nur ein alter Mann.» Außerdem werde es in Thailand nie richtig kalt, nie grau, das Essen schmecke, die Menschen seien liebenswürdig. Immer sei Zeit für Worte und ein Lächeln. Ihr würde das nicht genügen, um zu einem Mann auszuwandern, den sie von fünf mal fünf Wochen Ferien kennt und mit dem sie sich nicht in der Muttersprache unterhalten kann. «Ich werde Thai lernen», sagte Martin vor der Abreise. «Ich fange ein neues Leben an.»
    Alice setzt sich an den Computer, tippt:
    Liebes Radio
    Seit ich vor zwei Jahren altershalber das Ballero, meine Tanzschule, verkauft habe, höre ich das Wunschkonzert und zeichne dazu. Jeden Tag ein Blatt ist mein Vorsatz.
    Mir ist aufgefallen, dass sich in
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