Noch Viel Mehr Von Sie Und Er

dann Komparsen genauso an und die Kandidaten müssen mit verbundenen Augen anhand der Kleidung Tag und Temperatur ertasten.
    »Ah, ich spüre ein ganz leichtes Sommerkleidchen mit nichts drunter, ich schätze mal 22. Juli, 27 Grad im Schatten. Was spüre ich hier? Wintermantel, darunter zwei Sommersakkos, eins schon durchgeschwitzt, ich tippe auf Ladendieb am 10. März, ca. 20 Grad.«

SIE Sex
    Die Welt wäre längst in zwei Hälften geteilt, eine weibliche und eine männliche, mit einem Elektrozaun dazwischen, wenn es Sex nicht gäbe. Man kann es drehen und wenden, wie man will, beim Sex passen Männer und Frauen hervorragend zusammen und zu zweit macht Sex auch viel mehr Spaß. Alles, was man dazu braucht, hat man in die Wiege gelegt bekommen und seitdem immer bei sich. Anders als der Spargel ist unsereins praktisch unabhängig von Tages- und Jahreszeiten, flexibel in der Ortswahl und benötigt auch keine spezielle Ausrüstung wie beim Bergsteigen. Mal abgesehen von den Fabelwesen in luftundurchlässigen Plastikanzügen, die von eingebildeten Fachleuten mittels Peitschen, Ketten und möglichst engen Bindungen zum Gipfel getrieben werden. Na ja, zum Eistauchen taugen Latexanzüge ja sowieso nicht. Schön, schön, wenn die Liebhaber dieser Spezialsportarten ihre Olympiade unter sich austragen und dabei den Nachwuchs und die Dritte Welt außen vor lassen, sonst kommen die nachher auf noch komischere Ideen.
    Zurück zum Hausgebrauch: Für beide Geschlechter ist Sex das Schönste überhaupt, zumindest in ihrer Fantasie. In der Realität ist Sex aber hauptsächlich Männersache. Die Welt ist zugekleistert mit nackten Busenwundern und die damit indirekt zur Schau gestellte Promiskuität geht inzwischen nicht nur Frauen auf den Sack. Die ersten Männer beklagen sich öffentlich über den Dauer-Erektionsstress, dem sie durch ihr recht einfach funktionierendes Reiz-Reaktions-Schema hilflos ausgeliefert sind. Sie fühlen sich überfordert, ja richtig ausgebeutet. Herrje, die Armen! Bin gespannt, wann die ersten männlichen Selbsthilfegruppen gegen den Sex-Imperialismus ins Feld ziehen und Ingo Appelt an der Seite von Pamela Anderson auf der Titelseite der Bildzeitung verkündet: Wir können nicht mehr! Die Verschleierung muss her!
    Für Frauen sind nackte Körper so normal wie der Sand an einem FKK-Strand. Dagegen kann ein teilweise verhülltes Kunstwerk sehr anziehend wirken und reizvolle erotische Fantasien auslösen, die mit dem seelenlosen Gerammel in Pornofilmen absolut nichts gemein haben. Lust entsteht eben nicht dadurch, dass man gemeinsam den Beipackzettel einer Viagra-Pille liest, auch wenn beim Sex die Chemie stimmen muss. Etwas mehr darf es schon sein und gute Liebhaber wissen das. Aber die sind selten und existieren eigentlich nur in der Literatur von Männern für Männer. Beim Sex ist jeder Mann sein eigener Experte und lässt sich nur ungern ins Handwerk pfuschen. Aber auch Handwerk will gelernt sein und hat besonders beim Sex goldenen Boden. Danach schürfen die meisten Männer noch vergeblich, zumindest in den Rocky-Woman-Mountains. Frau hat manchmal den Eindruck, sie müsste ihn am Schalter der Kinderpost abholen. Durchschnittlich gesehen brauchen Frauen 29 Minuten bis zum Orgasmus und Männer zwei. Und da haben wir den Salat. ER fährt mit seinem PS-starken Sechszylinder-Turbodiesel-Einspritzer schnittig vor, um SIE zum Rockkonzert abzuholen, hupt einmal kurz, und wenn sie nicht augenblicklich in der Tür erscheint, braust er solo wieder davon. Anstatt es noch einmal zu probieren oder die Finger auf der Hupe zu lassen, bis sie kommt. Sie hat doch nicht vergessen, dass sie verabredet ist, sondern es dauert bei Frauen eben immer etwas länger, bis sie so weit sind. Das müssten Männer doch inzwischen eigentlich wissen. Und Drängeln nützt gar nichts. Es bewirkt eher das Gegenteil, z. B., dass sie plötzlich auf Rock’n’Roll keine Lust mehr hat, sondern viel lieber auf Migräne. Man kann den dicksten Braten in die Röhre schieben, doch der wird nicht gar, wenn man im Backofen lediglich das Licht anmacht. Dabei braucht man für die Handhabung der Schalter und Knöpfe ebenso wenig eine Feinmechanikerausbildung wie ein Kapitänspatent, um eine Ruderpinne in die Hand zu nehmen.
    Auch beim Sex kann man sein Leben lang unbeleckt bleiben und versuchen, durch pure Willenskraft Briefmarken zum Kleben zu bringen. Davon können Zölibatäre ein Liedchen singen, das bis in die Kirchturmspitzen klingt. Aber gemeinsam