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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben
Autoren: Robert Silverberg
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gingen sie eben noch nichts an. Seine veränderte Haltung hatte einen dramatischen Charakter, der höchst verdächtig war.
    Was machte ihm wirklich Sorgen?
    Hatte er Angst, daß die Untersuchung des Mordfalls St. John sich gegen ihn selbst richten könnte? Daß schließlich sein Gehirn von der Polizei untersucht würde? Und daß dabei vielleicht etwas entdeckt würde, was er tunlichst geheimhalten wollte – zum Beispiel die illegale Anwesenheit von Paul Kaufmanns Bewußtsein in seinem Kopf?
    Risa fiel auf, daß alle Fragen immer wieder an diesem Punkt endeten.
    Ihr Vater entschuldigte sich, um einen weiteren Anruf zu tätigen. Risa lief ziellos in der Wohnung herum und verfolgte die feinen Fäden dieser überaus kniffligen Situation weiter. Zunächst einmal erschien es ihr wichtig, die Bemerkung ihres Vaters zu entwerten, er sei im Besitz von Paul Kaufmanns Bewußtsein. Dieses war doch an den vakanten Martin-St.-John-Körper gegangen, oder? Also konnte es nicht simultan in Mark verpflanzt worden sein. Es gab strenge Sicherheitsmaßnahmen, um solche Doppeltransplantationen zu vermeiden, das wußte Risa. Man verschloß die letzte Aufzeichnung sicher in einem Spezialgewölbe, bis sie, wenn überhaupt, wieder gebraucht wurde. In diesem Fall, würde die Aufzeichnung durch den raschen Tod von St. John bald wieder zur Verwendung freigegeben werden. Wenn alles normal verlaufen wäre, wäre Paul Kaufmanns Bewußtsein mit dem seines Trägers als Sekundärtransplantat weitergegeben worden, was die alte Aufzeichnung auf lange Sicht überflüssig gemacht hätte.
    Dennoch würde diese Aufzeichnung immer noch im Spezialgewölbe liegen, oder? Und was war überhaupt mit den früheren Aufzeichnungen vom Onkel? Sicher würde man die doch nicht einfach wegwerfen.
    Risa begann das ungeheure Ausmaß der Sophisterei in den angeblich narrensicheren Bestimmungen des Scheffing-Institutes zu begreifen. Und ihr wurde langsam klar, daß nur eine Lösung auf der Hand lag: ihr Vater mußte auf krummen Wegen eine Transplantation Onkel Pauls durchgeführt haben.
    - Nun aber mal halblang, warnte Tandy sie. Du steigerst dich zu sehr in diese Sache hinein.
    Risa bemühte sich, von ihrer plötzlichen Anspannung abzukommen. Sie bemerkte auf dem Tisch ein grüngebundenes Buch. Müßig nahm sie es in die Hände. Mit einiger Überraschung entdeckte sie, daß es sich um das Bardo Thödol handelte, das Tibetanische Totenbuch, das Kultbuch der neuen Religion, die sich von Kalifornien nach Osten ausbreitete. Sie hatte nicht gewußt, daß ihr Vater dieses Werk besaß. Die Ausgabe schien noch ganz neu zu sein. Risa öffnete den Buchverschluß und blätterte etwas darin. Sie fragte sich, warum Leute sich überhaupt von einem solchen Quatsch das Gehirn umnebeln ließen, nur weil die Wiedergeburt etwas so Alltägliches geworden war. Sich hinter einen obskuren Ableger eines dekadent gewordenen Buddhismus zu klemmen, der absolut keine Relevanz für den Scheffing-Prozeß besaß, und in dieses Studium auch noch viel Zeit, Geld und Energie zu investieren …
    Sie las.
     
    „Vom östlichen Reich des überlegenen Glücks wird dereinst der Buddha Vajra-Sattwa, der göttliche Muttervater, mit den ihn begleitenden Gottheiten hinuntersteigen, um seinen Glanz auf Dich zu werfen. Vom Südlichen Reich, in dem der Ruhm zu Hause ist, wird dereinst der Buddha Rattna-Sambhawa, der göttliche Muttervater, mit den ihn begleitenden Gottheiten hinabsteigen, um seinen Glanz auf Dich zu werfen. Vom gesegneten Westlichen Reich, in dem der Lotus zahlreich blüht, wird dereinst der Buddha Amitabha, der göttliche Muttervater, mit den ihn begleitenden Gottheiten hinabsteigen, um seinen Glanz auf Dich zu werfen. Vom Nördlichen Reich der reinen, guten Taten wird der Buddha Amogha-Siddhi, der göttliche Muttervater, mit den ihn begleitenden Gottheiten inmitten eines Glorienscheins aus den Farben des Regenbogens hinabsteigen, um Dich gerade in diesem Augenblick zu erleuchten.“
     
    Ihr Vater kehrte ins Zimmer zurück. Risa hielt das Buch hoch und sagte: „Mark, was ist das denn hier?“
    „Ich habe das große Lamakloster in San Francisco besucht. Dort haben sie mir das Buch als Souvenir geschenkt.“ Er zuckte die Achseln zum Zeichen, daß das Thema damit für ihn beendet war. „Elena und Noyes sind soeben auf dem Flughafen abgefangen worden. Sie behauptet, sie sei ohnehin gerade auf dem Weg zu mir gewesen. Elena wird jeden Moment hier sein.“
    „Und Noyes?“
    „Er wird separat
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