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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
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Jahreszeit ausführlich in den Wochenschauen zu sehen, waren eine immense Stütze.
    Die Damen erschienen bei Sonnenuntergang in bodenlangen, tief ausgeschnittenen und auffallend altmodischen Abendkleidern; die meisten waren während der Emigration noch nicht getragen worden. Zu ihrem Bedauern mußten die Herren durch ihren mangelnden Weitblick bei der Auswanderung auf den Smoking verzichten, der bei den alteingesessenen Farmern im Hochland auch ohne bestimmten Anlaß als passender »Dinner Dress« galt. Die deutschen Gentlemen glichen den Mangel durch würdige Haltung in zu engen dunklen Anzügen aus. Ein böses Wort von Elsa Conrad machte allzu schnell die Runde.
    »Daß Sie es wagen, nach deutschen Mottenkugeln zu riechen«, sagte sie, dreist schnüffelnd, ausgerechnet zu Hermann Friedländer, der von sich behauptete, er würde schon englisch träumen, »will mir nicht in den Kopf.«
    Knallbonbons, die in der alten Heimat allenfalls Requisit für Kindergeburtstage gewesen waren und denen trotz aller Mühe der geistigen Neuorientierung noch immer das Odium der Lächerlichkeit anhaftete, wurden mit geradezu preußischer Aku-ratesse zwischen die widerspenstigen Stacheln der ausgetrockneten Kakteen gehängt. Mit Eifer, aber auch mit der Ratlosigkeit von Menschen, die noch kein rechtes Verhältnis zum Objekt ihrer neuen Schwärmereien entwickelt hatten, wurden Schallplatten mit den gerade gängigen Schlagern besorgt; auf keiner Neujahrsfeier in der ganzen Kolonie dürfte so oft »Don't fence me in« gespielt worden sein wie zwischen Sonnenuntergang und Mitternacht auf der gelblichen Rasenfläche des Hove Court. Mit dem echten schottischen Whisky, den der Festausschuß trotz des exorbitanten Preises kompromißlos als einziges passendes Getränk bestimmt hatte, gab es eine kleine Panne.
    Er wurde kaum getrunken und rief ungeachtet der euphorischen Stimmung und der lähmenden Hitze auf später nicht mehr rekonstruierbare und doch sehr peinliche Art wehmütige Erinnerungen an Punsch und Berliner Pfannkuchen hervor. Es kam zu einer geradezu abstrusen Diskussion, ob das Silvestergebäck in den Zeiten, die man ja nun wahrlich vergessen wollte, mit Pflaumenmus oder mit Johannisbeergelee gefüllt gewesen war.
    Das kleine Feuerwerk indes galt als Erfolg und noch mehr der Einfall, »Auld Lang Syne« unter dem Jacarandabaum zu singen. Das Lied, das eigens im Hinblick auf die nun leider erkrankten englischen Nachbarn einstudiert worden war, klang seltsam hart aus deutschen Kehlen. Obwohl man genau den vorgeschriebenen Kreis bildete und sich mit dem entrückten Blick viktorianischer Ladies die Hände reichte, kam nur wenig von der geschmeidigen schottischen Melancholie auf die afrikanische Nacht nieder.
    Walter war der alten Weise oft in der Messe seiner Kompanie begegnet; er bemerkte den Graben zwischen Wollen und Können mit erheiterter Schadenfreude, aber er hielt sich um Jettels willen mit Spott zurück. Sein Lächeln wurde indes so mißbilligend registriert, als hätte er seine Kritik herausgeschrien. Noch unangenehmer fiel auf, daß er nach dem letzten
    Ton seiner Frau schamlos laut: »Nächstes Jahr in Frankfurt«, zuraunte. Jettel verstand die Anspielung auf das alte, sehnsüchtige Pessach-Gebet nicht und entgegnete aufgebracht »Heute nicht.« Die Blamage, daß sie so offensichtlich keine Ahnung von religiösem Brauch und jüdischer Tradition hatte, wurde als gerechte Strafe für Gotteslästerung empfunden und vor allem als verdient passender Dämpfer für Walters provokative Taktlosigkeit.
    Durch den Lärm vom Feuerwerk und auf dem Höhepunkt eines von der Mehrheit als unglaublich unwürdig geschmähten Streits, der wegen des genauen Textes zu »Kein schöner Land in dieser Zeit« ausgebrochen war, wachte Max auf. Er hieß das neue Jahr auf die traditionelle Art der in der Kolonie geborenen Babys willkommen. Obwohl noch keine zehn Monate alt, sprach er sein erstes verständliches Wort. Allerdings sagte er weder Mama noch Papa, sondern »Aja«. Chebeti, die in der Küche gesessen hatte und beim ersten Wimmern an sein Bett gestürzt war, sprach ihm das Wort, das ihre Haut angenehmer wärmte als eine Wolldecke in den kalten Stürmen ihrer Bergheimat, immer wieder vor. Vollkommen wach geworden von ihrem kehligen Lachen und fasziniert von den kurzen melodischen Lauten, die seine Ohren kitzelten, sagte Max tatsächlich zum zweitenmal »Aja« und dann immer wieder.
    In der Hoffnung, das Wunder würde sich genau an der richtigen
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