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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
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gestellt, daß ich mich von meiner jüdischen Frau scheiden ließe. Bis Kriegsausbruch habe ich dann meine Familie mehr schlecht als recht durch Gelegenheitsarbeiten bei Rechtsanwalt Pawlik ernähren können, von denen natürlich niemand etwas wissen durfte. Meine Dankesschuld an Pawlik habe ich nicht mehr abtragen können.
    Er fiel im ersten Kriegsmonat in Polen. Ich selbst galt ja als >wehrunwürdig< und wurde 1939 zur Zwangsarbeit verpflichtet. Über diese Zeit werde ich Ihnen erzählen, wenn wir uns wiedersehen. Die Feder sträubt sich, das Erlebte niederzuschreiben, obwohl ich mir sehr bewußt bin, daß es noch schlimmer hätte kommen können.
    Mit dem ersten Treck nach Kriegsende sind Käthe, mein Sohn Klaus, der ja im selben Jahr geboren wurde wie Ihre Tochter, und ich noch aus Oberschlesien herausgekommen. Käthe war es durch die ständige Angst, sie würde deportiert werden, die ganzen Jahre nicht gutgegangen, und auf der Flucht kam noch eine Wunde am Bein hinzu, die uns das Schlimmste befürchten ließ. Obwohl ich verlernt habe, an Gott zu glauben, müssen wir ihm doch dankbar sein, daß wir alle drei schließlich hier in Wiesbaden gelandet sind, wo uns ein entfernter Verwandter aufnahm. Nun verdanke ich ausgerechnet Hitler eine Karriere, von der ich in unserem Leobschütz nie zu träumen gewagt hätte.
    Käthe war in größter Aufregung, als ich ihr von Ihrem Gesuch erzählte. Mein Sohn kann es gar nicht abwarten, einen Mann kennenzulernen, der bis nach Afrika gekommen ist. Er ist ein verschlossener Junge, den die Erlebnisse der bösen Jahre geprägt haben und der die Angst seiner Eltern und die Zurücksetzungen und Quälereien, die er von Freunden und vor allem von seinen Lehrern erfuhr, nicht vergessen kann. Er durfte nicht aufs Gymnasium und tut sich heute schwer mit der Schule. Er träumt auf eine besessene, unkindliche Art von Auswanderung, und ich glaube, wir werden ihn früh verlieren.
    Ich fürchte, ich bin zu ausführlich geworden, aber Ihnen zu schreiben, hat mir gutgetan. Allein das Bewußtsein, daß dieser Brief nach Nairobi geht, in eine freie Welt ohne Trümmer, überwältigt mich. Und dabei habe ich die ganze Zeit das Gefühl, als würde ich in Ihrem Wohnzimmer in Leobschütz sitzen. Bei offenen Vorhängen! Nach dem Schicksal Ihres Vaters und Ihrer Schwester, die ich einmal bei Ihnen kennenlernte, wage ich nicht zu fragen. Ebensowenig wage ich es, Ihnen Mut für Ihren Neuanfang zu machen. Die Deutschen haben nicht nur einen großen Teil ihres Landes und ihre Städte eingebüßt. Sie haben auch ihre Seele und ihr Gewissen verloren. Das Land ist voll von Leuten, die nichts gesehen und nichts gewußt haben oder >immer dagegen< waren. Und schon werden die paar Juden, die es noch gibt und die der Hölle entronnen sind, wieder diffamiert. Sie bekommen zur kargen Lebensmittelration des Normalverbrauchers die Schwerarb ei terzulage. Das reicht den Tätern, um die Opfer aufs neue auszugrenzen.
    Lassen Sie mich so früh wie möglich wissen, wann das Datum Ihrer Rückkunft feststeht. Mein Pessimismus und meine  Erfahrungen verbieten mir, von Heimkehr zu sprechen. Was in meiner Macht steht, um Ihnen zu helfen, werde ich tun, doch versprechen Sie sich nicht zu viel von einem Ministerialrat, der den Makel hat, aus Leobschütz zu stammen. Wir gelten hier im Westen als >Ostpack<, und keiner glaubt den Leuten, was sie zusammen mit der Heimat an materiellen und ideellen Werten verloren haben. Ich kann Sie eher zum Landgerichtspräsidenten befördern lassen als Ihnen eine Wohnung oder ein Pfund Butter verschaffen.
    Lassen Sie sich von meinen Klagen, die ich an dieser Stelle als ganz unpassend empfinde, trotzdem nicht Ihren bewundernswerten Optimismus nehmen und auch nicht Ihren Humor, an den ich mich so gut und gern erinnere. Wenn es Ihnen möglich ist, bringen Sie Kaffee mit. Kaffee ist die neue deutsche Währung. Mit Kaffee kann man sich alles kaufen. Sogar eine weiße Weste. Man nennt sie inzwischen Persilschein.
    Meine Frau und ich erwarten Sie und Ihre Familie mit Ungeduld und offenem Herzen. Bis dahin grüßt Sie in alter Verbundenheit
    Ihr Hans Puttfarken
    PS. Fast hätte ich vergessen: Ihr alter Freund Greschek ist in einem Dorf im Harz gelandet. Ich bekam durch Zufall seine Adresse und habe ihm von Ihrer geplanten Rückkehr geschrieben.«
    Während Jettel den Brief zurück in das Kuvert legte, versuchte sie, sich Puttfarkens Gesicht vorzustellen, aber ihr fiel nur ein, daß er groß und blond gewesen
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