Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
war und sehr blaue Augen gehabt hatte. Wenigstens das wollte sie Walter sagen, aber die Stille hatte bereits zu lange angehalten, um noch Worte zur Erlösung aus dem Aufruhr zu finden. Mit zaghaften Ge-sten fächelte sich Jettel mit dem Umschlag Kühlung zu. Owuor nahm ihr den Brief aus der Hand und legte ihn auf einen Glasteller.
    Er ahmte die kleinen zischenden Laute nach, die er als Junge den Vögeln abgelauscht hatte, lächelte in Erinnerung an das eine Wort, das die Memsahib aus dem Papier geholt hatte, und zog pfeifend den Vorhang wieder auf. Ein Strahl der tiefliegenden Nachmittagssonne spiegelte sich im Glas und warf einen Schleier von dünnem blauem Nebel auf das graue Papier. Der Hund wurde wach, hob träge den Kopf und stieß beim Gähnen die Zähne so laut aufeinander wie in den Tagen seiner Jugend, als er im Gras noch die Hasen riechen konnte.
    »Rummler«, lachte Owuor, »in dem Brief wurde Rummler gerufen. Ich habe Rummlers Namen gehört.«
    »Nebbich«, sagte Walter, »wenn der Puttfarken wüßte, was aus meinem Humor geworden ist. Ach Jettel, tut es dir nicht wenigstens ein bißchen gut, so einen Brief zu bekommen? Nach all den Jahren, in denen wir der letzte Dreck waren.«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich habe nicht alles verstanden.«
    »Glaubst du, ich? Ich weiß nur, daß da ein Mensch ist, der sich an mich erinnert, wie ich einmal war. Und der will uns helfen. Laß uns Zeit, Frau Doktor, uns daran zu gewöhnen, daß sich die Dinge geändert haben. Hör nicht auf das, was die Leute hier sagen. Wir sind tiefer gefallen als sie, aber wir haben auch mehr Übung als andere, im Leben neu anzufangen. Wir werden es schaffen. Unser Sohn wird nicht mehr wissen, was es heißt, ein Ausgestoßener zu sein.«
    Einen Moment war es Jettel, als hätten ihr die Sanftheit und das Verlangen in Walters Stimme die Träume, Hoffnungen und Sicherheit, die Liebe und die Lebenslust ihrer Jugend wiedergegeben, doch das Einverständnis mit ihrem Mann war ihr zu fremd, um von Dauer zu sein.
    »Was hast du eigentlich gesagt, als du nach Hause gekommen bist? Ich weiß es schon nicht mehr.«
    »Doch, Jettel, du weißt es genau. Ich habe gesagt daß wir am 9. März auf der >Almanzora< abfahren. Und diesmal fährt nicht jeder für sich. Wir sind zusammen. Ich bin froh, daß die Ungewißheit ein Ende hat. Ich glaube, ich hätte die Warterei nicht mehr lange ertragen können.«
24
    Morgens um vier wurde Walter durch ein Geräusch wach, das er nicht deuten konnte. Er bemühte sich immer wieder, die leisen Schwingungen einzufangen, die ihm aus der Nähe zu kommen schienen und die ihm willkommener waren als die Angst vor Schlaflosigkeit, aber nur die Lautlosigkeit der quälenden Stunde vor Sonnenaufgang erreichte seine Ohren und machte sofort Jagd auf seine Ruhe. Er lauerte gierig auf das Zwitschern der Vögel in den Eukalyptusbäumen vor dem Fenster, die ihm sonst das Signal zum Aufstehen gaben; die Spannung schärfte seine Sinne vor der Zeit. Obwohl der Tag noch nicht den Hauch vom ersten grauen Licht eingefangen hatte, glaubte Walter bereits, die Umrisse der vier großen, hellen Überseekisten zu erkennen.
    Sie waren seit der Ankunft in Afrika als Schränke verwandt worden und standen nun, bemalt mit Jettels steiler, kindlicher Handschrift, an je einer Wand des Schlafraums. Owuor hatte sie am Abend zuvor fertig gepackt und mit so heftigen Schlägen zugenagelt, daß Kellers aus der Nachbarwohnung wütend zurückgeklopft hatten. Walter fühlte sich befreit bei dem Gedanken, daß endlich der größte Teil vom Leben der letzten neun Jahre verstaut war. Die zwei Wochen, die bis zur Abfahrt der »Almanzora« blieben, würden nun ohne die erschöpfenden Streitereien vergehen, die jede neue Entscheidung über Mitnehmenkönnen oder Zurücklassenmüssen auslöste.
    Walter war es, als würde ihm das Schicksal ein letztes Stück Normalität gönnen. Die Gnadenfrist erschien ihm zu kurz. Er lauschte so konzentriert auf das Knirschen seiner Zähne, als wäre das unangenehme Geräusch von besonderer Bedeutung. Nach einer Zeit fühlte er sich zu seiner Verwunderung tatsächlich befreit von der Last, die ihn bei Tag unablässig quälte. Er hatte, wehrlos gemacht von einem Schuldgefühl, über das er nicht sprechen konnte, wollte er seine Kraft nicht einbüßen, entweder Jettel oder Regina für jede Äußerung, für seine Seufzer, für jede Verärgerung und Unsicherheit Rechenschaft geben müssen.
    Nur in den Nächten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher