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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
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durfte er sich eingestehen, daß Enttäuschung ihn peinigte, ehe die Saat der Hoffnung zum Keimen gebracht werden konnte. Seit den Tagen, da mit dem Packen begonnen worden war, hatte sich Walter gegrämt, daß ihn die Kisten so heftig und ausschließlich an den Aufbruch in die Emigration erinnerten. Sie symbolisierten nicht, wie er sich monatelang mit sättigender Euphorie ausgemalt hatte, den so lange herbeigesehnten Aufbruch in das wiedergefundene Glück.
    Um sich zur Ruhe zu zwingen, preßte Walter die Lippen so heftig aufeinander, bis der körperliche Schmerz groß genug war, den Kampf gegen die bösartigen Gespenster aufzunehmen, die der Vergangenheit entstiegen und die Zukunft bedrohten. Da hörte er den Laut, der ihn aus dem Schlaf geholt hatte, zum zweitenmal. Aus der Küche kam das leise Geräusch, das die langsamen Bewegungen nackter Füße auf dem rauhen Holzboden anzeigte, und von Zeit zu Zeit war es, als würde Rummler seinen Schwanz an der verschlossenen Tür reiben.
    Bei der Vorstellung, der Hund würde auch nur ein Auge aufmachen, ehe Wasser in den Teekessel lief, lächelte Walter, aber die Neugierde drängte ihn doch nachzusehen. Er stand leise auf, um Jettel nicht zu wecken, und schlich auf Zehenspitzen in die Küche. Der Rest einer kleinen Kerze klebte auf einem Blechdeckel und tauchte mit einer langen Flamme den Raum in fahles, gelbes Licht. In der Ecke, zwischen einigen Töpfen und der verrosteten Bratpfanne aus Leobschütz, saß Owuor mit geschlossenen Augen auf dem Boden und rieb seine Füße warm. Neben ihm lag Rummler. Der Hund war tatsächlich wach und hatte einen dicken Strick um den Hals.
    Unter dem Küchentisch lag ein prall gefülltes, blauweiß kariertes Handtuch, das um einen dicken Holzstab zu einem kleinen Bündel geknotet war. Aus einem der vielen Löcher baumelte ein Ärmel von dem weißem Kanzu, in dem Owuor seit den Tagen von Rongai das Essen aufgetragen hatte. Auf dem Fensterbrett lag, frisch gebügelt und sorgfältig zu einem schwarzen Rechteck gefaltet, Walters Anwaltsrobe. Er erkannte sie nur an der brüchigen Seide um Kragen und Revers. »Owuor, was machst du hier?«
    »Ich sitze und warte, Bwana.«
    »Warum?«
    »Ich warte auf die Sonne«, erklärte Owuor. Er nahm sich nur die Zeit, die er brauchte, um das gleiche Staunen in seine Augen zu zaubern, das der Bwana in seinen hatte.
    »Und warum hat Rummler den Strick um den Hals? Willst du ihn auf dem Markt verkaufen?«
    »Bwana, wer kauft einen alten Hund?«
    »Ich wollte dich lachen sehen. Jetzt sag endlich, warum bist du hier?«
    »Das weißt du.«
    »Nein.«
    »Du hast immer nur mit dem Mund gelogen, Bwana. Ich und Rummler gehen auf eine lange Safari. Wer zuerst auf Safari  geht, hat trockene Augen.«
    Walter wiederholte, ohne daß er den Mund aufmachen konnte, jedes einzelne Wort. Als er merkte, daß seine Kehle schmerzte, setzte er sich auf den Boden und strich Rummler über das kurze, harte Nackenfell. Der warme Körper des Hundes erinnerte ihn an die vergraben gewähnten Nächte vor dem Kamin in Ol' Joro Orok und machte ihn schläfrig. Er widersetzte sich der Beruhigung, die ihn zu lähmen begann, indem er seinen Kopf gegen die Knie preßte. Zunächst empfand er den Druck auf seine Augenhöhlen als angenehm, doch dann störten ihn die Farben, die im Licht ebenso zerfielen wie seine Gedanken.
    Ihm war es, als hätte er die Szene, die ihm nun so unwirklich vorkam, schon einmal erlebt, wußte jedoch zunächst nicht, wann. Sein Gedächtnis ließ sich rasch und zu bereitwillig auf die wirren Bilder ein. Er sah seinen Vater vor dem Hotel in Sohrau stehen, aber als die Kerze ihren letzten Kampf um Leben begann, wandte sich der Vater vom Sohn ab und verwandelte sich in Greschek, der in Genua an der Reling von der »Ussukuma« stand.
    Die Hakenkreuzfahne wehte im Sturm. Erschöpft wartete Walter auf den Klang von Grescheks Stimme, die harte Aussprache und die hartnäckige Wut in den Silben, die den Abschied noch schwerer machen würde, als er ohnehin war. Doch Greschek sagte nichts und schüttelte nur so heftig den Kopf, daß die Fahne sich löste und auf Walter zustürzte. Er spürte nichts mehr als die eigene Ohnmacht und die Bedrückung des Schweigens.
    »Kimani«, sagte Owuor, »kennt dein Kopf noch Kimani?«
    »Ja«, erwiderte Walter rasch. Er war froh, daß er wieder hören und denken konnte. »Kimani war ein Freund wie du, Owu-or. Ich habe oft an ihn gedacht. Er ist von der Farm gelaufen, ehe ich aus Ol' Joro Orok fort
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