Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
Stelle wiederholen, trug Chebeti ihre gurgelnde Trophäe zu den Feiernden unter dem Baum. Sie wurde überreich belohnt. Die Memsahib und der Bwana staunten mit offenem Mund und Feuer in den Augen, nahmen Chebeti das strampelnde Toto aus den Armen und sprachen ihm abwechselnd »Mama« und »Papa« vor, erst leise und lachend, aber bald laut und mit einer Entschlossenheit, die sie wie Krieger vor dem entscheidenden Kampf wirken ließ. Die meisten Männer ergriffen mit lautem »Papa«-Gebrüll Partei; wem rechtzeitig sein neuer britischer Paß einfiel, versuchte es mit »Daddy«. Die Frauen unterstützten Jettel mit lockenden »Mama«-Rufen und sahen dabei wie die Puppen ihrer Kindheit aus, die durch Druck auf den Bauch zum Sprechen gebracht wurden. Max ließ sich jedoch, bis er in einen erschöpften Schlaf fiel, keinen anderen Laut als »Aja« entlocken.
    Von dem Tag an war die sprachliche Entwicklung des jungen Max Redlich nicht mehr aufzuhalten. Er sagte »kula«, wenn er essen wollte, »lala«, wenn er ins Bett gelegt wurde, ganz korrekt »Chai« zur Teekanne, »Menu« zu seinem ersten Zahn, »Toto« zu seinem Spiegelbild und »Bua« bei Regen. Sogar »Kessu«, das Wort für Morgen, Zukunft und für jene unbestimmbare Zeiteinheit, die nur für Owuor ein überblickbarer und rationaler Begriff war, schnappte er auf.
    Walter lachte, wenn er seinen Sohn reden hörte, und doch verdarb ihm eine Empfindlichkeit, die er vor sich selbst mit seinen überreizten Nerven zu entschuldigen versuchte, die Freude an dem kindlichen Geplapper. Obwohl es ihm kindisch und gar krankhaft erschien, den Dingen ein solches Gewicht zu geben, bedrängte ihn die Vorstellung, Afrika hätte ihm bereits seinen Sohn entfremdet. Noch mehr quälte ihn der Verdacht, daß Regina ihrem Bruder die Wörter eigens beibrachte und daß sie die Aufregung genoß, für die jedes neue Wort sorgte. Er grübelte vergrämt und noch mehr verletzt, ob seine Tochter ihm auf diese Weise ihre Liebe zu Afrika und die Mißbilligung seines Entschlusses zur Heimkehr zu verstehen geben wollte.
    Regina stritt indes mit einer Empörung, die sonst nur Owuor im genau richtigen Moment seinem Gesicht befehlen konnte, ihre Beteiligung an einer Entwicklung ab, die Walter in seinen depressivsten Stimmungen, ohne je das Wort laut zu sagen, als Kulturkampf zu bezeichnen pflegte. Hinzu kam, daß im Hove Court ständig über den Suaheli-Sprachschatz des kleinen Max gespottet wurde. Er galt, selbst bei den wenigen verständnis-vollen und toleranten Nachbarn, doch als recht deutlicher Beweis, daß das Kind klüger als sein verantwortungsloser Vater sei und daß es in seiner Unschuld zu erkennen gebe, daß es nicht nach Deutschland verschleppt werden dürfe.
    Als Max schließlich einen dreisilbigen Laut formte, der mit viel Fantasie als Owuors Name gedeutet werden konnte, versagten Walters Nerven. Er schrie, mit scharlachrotem Gesicht und geballten Fäusten, seine Tochter an: »Warum willst du mir weh tun? Merkst du nicht, wie alle hier über mich lachen, weil sich mein Sohn weigert, meine Sprache zu sprechen. Und dann wundert sich deine Mutter noch, daß ich von hier fort will. Ich habe immer gedacht, wenigstens du hältst zu mir.«
    Regina begriff schaudernd, wie tückisch sie ihre Fantasie verführt und zum Verrat an ihrer Loyalität und Liebe hingerissen hatte. Reue und Scham verbrühten ihre Haut und stießen Messer in ihr Herz. Sie war so in ihrer Rolle als Fee aufgegangen, die den Zauber der Sprache beherrschte, daß sie weder Augen noch Ohren für ihren Vater gehabt hatte. Erschrocken suchte sie nach einer Entschuldigung, aber wie immer, wenn sie erregt war, ließ schon der Gedanke an die Sprache ihres Vaters die Zunge erlahmen.
    Als sie merkte, daß ihre Lippen ansetzten, das Wort »Missu-ri« zu formen, was sowohl gut bedeutete als auch ein Zeichen war, daß einer endlich verstanden hatte, schüttelte sie den Kopf. Langsam, aber sehr entschlossen ging sie auf ihren Vater zu und schluckte ihre Trauer herunter. Dann leckte sie ihm das Salz aus den Augen. Am nächsten Tag sagte Max »Papa«.
    Als er am Ende der Woche »Mama« sagte, waren indes die Ohren seiner Mutter nicht empfänglich für das ersehnte Glück, obwohl ihre Tränen gerade in diesem Moment bis zum Kinn tropften. Max krähte bereits zum zweitenmal »Mama«, und Chebeti klatschte in die Hände, als Walter in die Küche stürzte. »Wir haben«, rief er und warf seine Mütze übermütig auf das  Sofa, »Plätze auf der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher