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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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seinem großen Arbeitszimmer hin und her, ehe er zu seinem Schreibtisch zurückkehrte und eine kurze Bemerkung beifügte:
    ›Majestät – ich, der Gouverneur von Irkutsk, bitte gleichfalls um die Gewährung dieser Gnade. Die Dekabristen sind Männer, die Eurer Majestät gegenüber gefehlt haben, aber sie taten es aus Liebe zu Rußland. Es waren Patrioten, Majestät, gute, echte Russen, die nur in die falsche Richtung geblickt haben. Und ihre Frauen – welcher Heldenmut lebt in ihnen, welche geradezu überirdische Liebe! Nennen Sie mir jemanden, Majestät, der Ähnliches auf sich genommen hat, wie diese Frauen der Verbannten. Ich flehe Eure Majestät um Gnade an.‹
    In der Nacht noch ritt ein Kurier von Irkutsk nach Westen. Fünftausend Werst einsames Land lagen vor ihm, nur unterbrochen von den kleinen Poststationen, wo man die Pferde wechseln und ein paar Stunden schlafen konnte.
    »Es wird ein halbes Jahr dauern, bis die Antwort des Zaren eintrifft«, sagte Abduschej zu seinen Offizieren, die an der Abendtafel über nichts anderes sprachen als über den Kampf der Leute von Jenjuka gegen die Wölfe. »Aber was ist ein halbes Jahr in Sibirien …«
    In diesem Winter, an einem eisigen Februartag, starb Oberst Globonow.
    Es kam ganz plötzlich, auch wenn man schon längst wußte, daß der knorrige alte Mann unheilbar krank war.
    Gegen neun Uhr morgens spuckte er Blut, fiel stöhnend auf sein Bett zurück und schickte seinen Diener Timofej zu Ninotschka und dann in das Lager der Verbannten.
    »Es geht zu Ende mit meinem guten Herrn!« jammerte Timofej. Die Tränen liefen ihm über das zuckende Gesicht, und da er während des ganzen Weges geweint hatte, hingen sie – zu kleinen Eiszapfen gefroren – auf seinen Wangen. »Er erbricht Blut, er kann kaum noch sprechen. Aber er will Euer Hochwohlgeboren sehen. Kommen Sie, kommen Sie schnell!«
    Ninotschka, die gerade an einem Butterfaß saß und aus Sahne Butter stampfte, ließ alles stehen und liegen und rannte, nur mit einem dünnen Mantel bekleidet, Timofej nach. Der Kommandant des Deportiertenlagers schickte einen Kosaken in den Wald, um Borja von der Arbeit zu holen.
    Globonow stirbt – das war, als wenn ein Teil der Welt unterginge. Als wenn die Taiga verdorrte oder der Schnee sich schwarz färbte. Globonow stirbt! Man hatte damit gerechnet, aber jetzt, da es geschah, mochte es niemand fassen.
    Der alte Oberst lag in seinem Bett, bleich, ermattet von dem Blutverlust, von Schmerzen fast zerrissen. Der Arzt stand draußen im Vorraum des Hauses, als Ninotschka hereinstürmte. »Helfen Sie mir, Ninotschka Pawlowna!« rief er sofort. »Er beschimpft mich wie einen lahmen Esel. Ich kam sofort her, als ich von seinem Anfall hörte, wollte ihm ein Pulver geben … und was machte er? Er blies mir das Pulver ins Gesicht. Hat man schon jemals einen solch rabiaten Kranken gesehen? Erklären Sie ihm, daß das Pulver die Schmerzen nehmen wird!«
    Globonow sah Ninotschka aus flackernden Augen entgegen. Sie kniete neben seinem Bett nieder und ergriff seine bebenden, mager gewordenen Hände. »Es ist soweit«, sagte Globonow mühsam. Er knirschte dabei mit den Zähnen vor Schmerz.
    »Väterchen!« Ninotschka küßte seine heißen Hände. »Warum haben Sie Dr. Wolodrow weggejagt? Er hat eine Medizin …«
    »Ich kenne diese Medizin. Bei den Schweinen gibt er sie gegen den Rotz, bei mir gegen die Schmerzen. Er soll sich zum Teufel scheren!«
    »Väterchen …«
    »Hören Sie zu, Ninotschka Pawlowna.« Globonow nahm alle Kraft zusammen. Seine Stimme wurde klarer. »Da drinnen«, er klopfte gegen seine Brust, »ist alles nur noch ein blutiger Sumpf. Aber das Herz schlägt weiter! Daß eine Ruine ein so starkes Herz haben kann! Seien Sie still, Ninotschka. Ich will kein Pulver, keine Tropfen, keine Pillen. Ich sterbe mit all meinen Schmerzen, so, wie ich auch in der Schlacht gestorben wäre. Himmel, war das ein Tag, an dem man mir das Bein abnahm! Ich bin nicht umgefallen davon. Während der Feldscherer mir unten das Bein abtrennte, habe ich ein Faß voll Wodka getrunken. Das ist Globonow! Zum Teufel, weinen Sie nicht, Ninotschka …«
    Er schwieg, holte tief und röchelnd Atem. »Töchterchen«, sagte er dann heiser, »ich möchte unter einer Birke begraben werden. Ich liebe Birken …«
    Danach lag er eine Weile still da, starrte an die rohe Holzdecke und faltete die Hände. Und Ninotschka sagte kein Wort. Sie legte ihren Kopf auf die Bettkante und wartete. Globonows Gesicht wurde
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