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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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spitzer, fahler. Der Tod kroch in ihm hoch, das ewige Schweigen rief ihn und veränderte ihn von Minute zu Minute mehr.
    Die Tür fiel leise ins Schloß. Borja war eingetreten und blieb im Hintergrund stehen. Globonow drehte mühsam den Kopf. »Bist du es, Borja Stepanowitsch?«
    »Ja, Nikolai Borisowitsch.«
    »Komm her. Was stehst du da herum wie ein alter Eisentopf? Komm neben deine Frau.«
    Borja gehorchte und stellte sich neben die kniende Ninotschka. »Gut so«, sagte Globonow. »Söhnchen, ich sterbe. Bevor der Pope, dieses dürre Skelett, zu Mittag läutet, bin ich hinüber. Borja Stepanowitsch, du denkst an unsere Abmachung? Mein Holzbein … und von den Rubeln darin ein Schiff auf meinen Namen …«
    »Ich habe es Ihnen geschworen, Nikolai Borisowitsch. Aber vielleicht sehe ich Riga nie wieder.«
    »Schejin hat den Kurier längst nach Petersburg geschickt. Und diese Wolfsschlacht wird unvergessen bleiben. Darum wird man immer fragen: ›Was ist aus Ninotschka Pawlowna geworden?‹ Borja, du hast eine wunderbare Frau.«
    »Ich weiß es, Nikolai Borisowitsch.« Borja kniete neben Ninotschka am Bett nieder. »Draußen warten sie alle«, sagte er heiser. »Die Frauen und die Männer. Alle. Sogar Lobkonow, er hat eine Hymne auf Sie gedichtet.«
    »Lobkonow, dieser Narr von einem Philosophen? Eine Hymne? Auf mich?« Globonow lächelte schwach. »Ist er übergeschnappt?«
    »Er hat gesagt: ›Warum soll ein Verrückter auf einen anderen Verrückten nicht ein Gedicht machen?‹«
    Globonow lächelte wieder. »Ein Glück, daß ich es nicht mehr höre, wenn er es euch vorliest.«
    Danach schwiegen sie wieder. Was sollte man jetzt auch noch sagen? Der Tod wartete, die letzten Minuten verrannen. Borja und Ninotschka knieten nebeneinander und hielten Globonows unruhig gewordenen Hände. Die Augen erloschen langsam, der klare, manchmal eisenharte Blick wurde trüb.
    »Sollen wir beten, Väterchen?« fragte Ninotschka leise.
    Globonow wandte mühsam den Kopf. »Hilft beten, Töchterchen?«
    »Ich weiß es nicht. Man sagt es …«
    »Dann versuche es, Töchterchen …« Globonow lag ganz still, als Ninotschka mit den uralten Sterbegebeten begann, die sie einst von ihrer Amme Katharina Ifanowna gelernt hatte. Es waren halb Worte, halb eintönige Gesänge, eine Litanei, die einschläferte und hinübertrug in die Ewigkeit.
    Borja Tugai hatte sich erhoben und war zu dem Schrank gegangen, der in einer Ecke des Zimmers stand. Er nahm die alte Uniform und den Degen Globonows heraus, breitete die Uniform über den Sterbenden und legte den Degen zwischen die unruhigen Hände. Da wurden diese Hände plötzlich still, umklammerten den Knauf des Degens, und eine tiefe Seligkeit überzog das spitze Gesicht.
    »Danke, Borja Stepanowitsch«, flüsterte Globonow. »Danke.« Danach streckte er sich, als wolle er sagen: Jetzt ist es geschafft, laßt die anderen herein, damit sie meine tote Hülle anstarren.
    Globonows Augen brachen, und der Mund blieb halb offen und ohne einen Hauch.
    Tugai beugte sich über den Toten und drückte ihm die Augen zu. Ninotschka küßte ihn noch einmal auf die Stirn und lief dann hinaus. Stimmengemurmel empfing sie. Die Fürstin Trubetzkoi fragte: »Wie geht es ihm?« Und Murawjeffs Baß dröhnte: »Kann ich ihm noch einmal die Hand drücken?«
    Borja schloß die Tür und lehnte sich gegen das rauhe Holz. Er kam sich in dieser Minute unendlich arm und einsam vor. Und er wußte plötzlich, daß jetzt, nach Globonows Tod, das Leben in Sibirien schwerer zu ertragen sein würde als je zuvor.
    Eine halbe Stunde später zogen die Bewohner von Jenjuka an dem aufgebahrten Globonow vorbei. Er war mit seiner Uniform bekleidet, hielt den Degen in den Händen, und Fürsten und Grafen, Generäle und Professoren hielten die Totenwache.
    Und immer mehr Menschen kamen, um Globonow noch einmal zu sehen. Es war ein Zug, der drei Tage andauerte. Burjäten, Ewenken, Kalmücken, Jakuten und Kirgisen zogen an Globonow vorbei, Frauen, Kinder, Männer und Greise. Sogar Chinesen kamen. Es waren Kaufleute, die von dem dicken Birjukow die Felle kauften, die dieser dem Zaren unterschlug. Man munkelte, daß es in diesem Jahr über fünftausend Zobel und zweitausend Füchse gewesen seien. Aber wer wollte Birjukow das beweisen?
    »Eine größere Totenehrung als Globonow hat kaum ein Zar erfahren«, meinte General Schejin, der von Tschita gekommen war. Und Gouverneur Abduschej, der wegen der eisigen Stürme nicht von Irkutsk nach Jenjuka
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