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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb
Autoren: Hans Gruhl
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haben
Sie?«
    »Gar keinen. Ich heiße Trubo. Sie
werden die Ehre haben, meine unvergleichlichen Texte zu sprechen.«
    Er hielt den Mund leicht offen.
    »Ich hab’ sie schon mal gesprochen. In ›Mädchen
ohne Moral‹.« Auch bei Reinold. War meine erste Filmrolle.«
    »Na also, hat er Sie bestellt?«
    »Ja. Fünf Uhr.«
    »Dann kriegen Sie Ihre Drehtage.
Zeitverschwendung hat er nicht gern.«
    »Hab’ ich ein Glück, daß ich gerade mit
Ihnen zusammengestoßen bin«, sagte der Jühl, »ist das Buch okay?«
    »Weit weg von okay«, antwortete ich,
»erst hat Reinold gemeckert. Trubo, der Heißige hat umgeschrieben. Dann hat Nathanael
gemeckert, unser vortrefflicher Produzent. Trubo, der Gehorsame, hat umgeschrieben.
Und nun meckert der Herr Verleiher. Zuviel Drehtage, zuviel Geld. Trubo, das
Rindvieh, wird wieder umschreiben.«
    »Aber morgen geht’s doch schon los!«
    Man konnte merken, daß der Jühl noch
nicht lange beim deutschen Film war.
    »Guter, sagte ich, »seien Sie froh, daß
überhaupt schon was da ist, aus dem man ungefähr entnehmen kann, worum sich der
Film dreht. Es hat Filme gegeben, bei denen war bis zum allerletzten Drehtag
kein Buch da, und die einzelnen Blätter wurden per Eilboten ins Atelier geschickt,
als die Schauspieler schon in der Dekoration herumsaßen, und die Schminke ihnen
vom Gesicht abblätterte. Oder die Texte wurden jeden Tag von Berlin nach Nizza
telefoniert, während die Kamera schon lief, und keiner wußte, was der andere im
nächsten Augenblick sagen würde. Da sind wir mit diesem Streifen noch gut dran.
Außerdem habe ich drei Tage Zeit, so lange machen Sie Außenaufnahmen, und da
ändert sich — gottlob — nichts.«
    Der Jühl kraulte sich in seinen
Naturwellen herum.
    »Anstrengender Job, was?«
    »Man gewöhnt sich dran. Sie werden’s
lernen mit der Zeit. Die Branche hat ihre Eigenschaften, wie jede andere auch.«
    »Was für welche?«
    Ich dozierte mit väterlicher Stimme,
»Für den Anfang nur ‘n paar Sachen. Erstens: Jeder fragt jeden am Tag
vierzigmal, wie es ihm ginge. Obwohl es ihn einen Dreck interessiert. Zweitens:
Telefon. Gab’ es kein Telefon, gab’ es keinen Film. Wenn sie hundert Mark
verdienen, vertelefonieren sie hundertfünf. Deswegen brechen sie auch meist
zusammen, wenn statt dreißig Drehtagen zweiunddreißig gebraucht werden.
Drittens: Hühnchenfressen. Nach sämtlichen Verrichtungen gehen sie immer rasch
noch ein Hühnchen essen.«
    »Zum Kotzen«, sagte der Jühl.
    Ich reichte ihm die Hand über den
Tisch. »Freut mich! Es lebe das Steak! Viertens: Jeder sagt bei jedem Film, daß
er dreißig Jahre in der Branche wäre, aber so was wie hier hätte er noch nie
erlebt. Gestunken und gelogen. Es war seit dreißig Jahren dasselbe.«
    »Wie steht’s mit den Mädchen?« fragte
der Jühl.
    »Kommt auf den Kurswert an. Stars
kosten ‘ne Menge. Außerdem hab’ ich da keine Erfahrungen. Mit mittleren
Begabungen und Starlets — da weiß ich ungefähr, was sie haben — und was man
zuzahlen muß. ‘ne Anfängerin ist immer dankbar am Anfang, aber ehe Sie sich
umsehen, sind die Preise verdorben, und die Inflation ist da. Natürlich gibt’s
Ausnahmen. Manchmal wird man auch ernährt. Platonische Liebe ist, wenn die Frau
bezahlt.«
    Der Jühl lachte. Ich sah auf die Uhr.
    »Jetzt werde ich den weltberühmten
Regisseur heimsuchen.«
    »Sie kennen ihn gut?«
    »Zehn Jahre. In fünfzehn Filmen haben
wir uns angeschrien und wieder vertragen. Das verbindet.«
    »Zehn Jahre,« wiederholte er. Er konnte
nachdenklich aussehen, und das machte ihn älter.
    Ich stand auf.
    »Bis nachher«, sagte ich. »Vielleicht
sehen wir uns beim Meister. Sonst im Atelier, wenn Sie meine Worte formen. Und
vielen Dank fürs Aufheben.«
    »Vielen Dank fürs Bier«, antwortete er.
    Ich ging, und er hatte mich nicht
gebeten, bei Reinold Reklame für ihn zu machen. Auf dem Weg zur Tür trat ich
noch auf ein paar Glassplitter. Dann erreichte ich das Freie und pustete den
Rotkrautgeruch aus meinen Lungen. Die Starlets waren leider nicht in Sicht.
     
     
     

II
     
    Mein Weg führte mich fast durch das
ganze Gelände. An der Baracke, in der die Dramaturgie und die Presse
untergebracht waren, sah ich den Dramaturgen durch das offene Fenster. Er saß
am Schreibtisch, hielt den Kopf mit den Händen fest und schlief. Kirschbaum
zahlte ihm zuwenig, und er rächte sich auf diese Weise.
    An den Schnitträumen posierten die
Mädchen auf den Fensterbrettern und baumelten mit den Beinen.
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