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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb
Autoren: Hans Gruhl
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ich,
während ich die Tür schloß. »Und so ein stilles, feines Kind. Verstehst du
auch, was du liest?«
    Ich sagte es ohne Spott. Ich hatte
nichts gegen Gaby, und Reinold war mein Freund. Sie heftete ihre Sternaugen auf
mich und sah so empört aus, als hätte ihr ein Neunzigjähriger einen
unsittlichen Antrag gemacht.
    »Eine unmögliche Rolle ist das! Hier — sie
sagt: ›Was die kann, kann ich auch! Wenn ich auch erst siebzehn bin.‹ So was
sagt ein Mädchen niemals.«
    »Hast du eine Ahnung, was Mädchen alles
sagen«, antwortete ich und holte mir ein Glas aus dem Schrank. »Die härtesten
Beichtväter kriegen rote Köpfe. Deswegen sitzen sie auch im Dunklen.«
    Ich setze mich so, daß ich Gabys Beine
im Auge hatte, und füllte mein Glas.
    »Und hier! Er sagt: ›Komm wieder, wenn
du einundzwanzig bist!‹ Und sie antwortet: ›Hab’ dich nicht so wegen der vier
Jahre‹ — So etwas spreche ich nicht.«
    »Wie man sich doch irrt«, sagte ich und
nahm den Cognac zu mir. »Wir dachten, daß die Rolle gerade auf deinen schönen
Körper paßt. Aber ich habe Stefan schon gesagt...«
    »Was hast du gesagt?«
    »Na ja... daß es vielleicht doch eine
Zumutung für deinen Ruf wäre und wir lieber die Dagmar...«
    Sie fuhr hoch wie von einer
Klapperschlange gebissen. Mein kostbares Drehbuch fiel zu Boden.
    »Die Dagmar! Daß ich nicht lache! Die
kann keine zwei Worte behalten!«
    »Wir lassen sie synchronisieren. Wir
nehmen deine Stimme und ihren Sex.«
    Reinolds Auftritt hinderte Gaby daran,
mich mit der Flasche zu erschlagen.
    Er kam herein wie ein müder Grislybär,
der gerade zwei Trapper getötet hat. Er schien viel geredet zu haben und
erschöpft zu sein. Die Falten in seinem Babygesicht waren härter als sonst, und
die Haut war blaß und feucht. Seine Schultern unter dem zerknitterten Wollhemd
hingen nach unten, seine Arme, sein Bauch, sein Hosenboden, alles hing nach
unten. Im ganzen sah er aus wie eine Mischung aus Churchill und Hemingway, und
er konnte genauso hart kämpfen und genauso gut erzählen. In seiner Begleitung
passierte einem nichts. Er drückte den unverschämtesten Chefportier des größten
Hotels mühelos hinter seinem Empfangspult zusammen; er konnte sich mit zwanzig
ausgekochten Filmmanagern sechs Stunden lang herumschlagen, bis sie zermalmt in
ihren Sesseln hingen, und er hielt ein Atelier von schlechten, überheblichen
Schauspielern, tuschelnden Komparsen, aufsässigen Arbeitern, geizigen
Produzenten und wichtigtuenden Autoren besser zusammen als ein Dompteur seine
Königstiger.
    Gaby nahm die Beine vom Sessel. Sie zog
die Schuhe an. Ihr Gesicht verklärte sich, und sie wurde schüchtern und demütig
wie eine Novizin vor dem Erzbischof. Als Reinold sie auf die Stirn küßte,
begann sie zu zittern.
    »Servus, Kindchen«, sagte er. »Servus
Hans! Kinder, bin ich erledigt. Gebt mir auch einen.«
    Gaby schoß aus dem Sessel hoch und
holte das dritte Glas. Reinold trank tief aufatmend.
    »Ärger gehabt? fragte ich.
    Er fiel in den Sessel wie ein
getroffener Elefant. Ein kleines, silbernes Kreuz baumelte zwischen den Rändern
des offenen Hemdes. Reinold schlug die Augen zur Decke auf und legte den Kopf
auf die Sessellehne.
    »Kinder, es ist nicht zu erzählen!
Nicht zu erzählen! So etwas wie bei diesem Film habe ich noch nicht erlebt! In
dreißig Jahren nicht erlebt.«
    Ich dachte an mein Gespräch mit dem
Jühl. Gaby machte Madonnenaugen, als müßte sie einen Sterbenden auf dem
Schlachtfeld trösten. »Will der Serkoff nicht?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Dieses Ekel!«
    Sie schüttelte sich voller Abscheu, wie
sie es vor der Kamera nie gekonnt hätte, und trank viel Cognac, um den Gedanken
an Serkoff fortzuschwemmen.
    »Kirschbaum wird ihn schon
umschmeißen«, sagte ich.
    Reinold kam hoch und schlug klatschend
auf die Lehne.
    »Nathan? Der hat noch mehr Angst! Mein
Geld, mein Geld, mein schönes Geld! Drei Drehtage mehr! Sechzigtausend Mark!
Alles mein schönes Geld!«
    Reinold immiörte Kirschbaums piepsige
Stimme:
    »Ich bin ruiniert! Meine armen Kinder!
Was werden sie essen? Wovon sollen sie leben?«
    Gaby sah ihn an, als hätte sie ihn
gerade zur Welt gebracht.
    Er trank seinen Cognac aus.
    »Wegen drei Tagen dieses Affentheater!
Ein Film, der ein Weltgeschäft ist! Ich kann den Film nicht in neunundzwanzig
Tagen machen! Es ist ein Film für Tokio und für Rio und für Los Angeles! Nicht
für Bielefeld!«
    Wenn er wütend war, hatte er immer was
gegen Bielefeld. Dabei war er noch nie dort
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