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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb
Autoren: Hans Gruhl
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Gewichtige
Beleuchter marschierten vorbei, als wären sie Mitglieder des Aufsichtsrates.
Zwei Bühnenarbeiter trugen ein leichtes Brett mit Gesichtern, als hätten sie
Schmerzen dabei. Jedem guckte aus der Hosentasche eine Bierflasche. Überall lag
ein Haufen Gerümpel, das vor zwanzig Jahren gebraucht worden war und das
vielleicht in zwanzig Jahren wieder gebraucht werden würde. Kirschbaum hob alles
auf.
    Ich ging an einem alten, verwitterten
Maybach mit Phantasienummer vorbei. Er hatte in einem Kriegsfilm als
Dienstwagen des Heeresgruppenführers gedient, und Kirschbaum hatte bei diesem
Film eineinhalb Millionen verloren. Seitdem war er noch schlechter auf Hitler
zu sprechen. Eine geschminkte Geisha lief mir in die Quere, die Schuhe und der
Röhrenrock waren ihr sichtlich im Wege, aber sie warf mir aufmunternde Blicke
zu, wie sie in japanischen Freudenhäusern mit Sicherheit auch nicht besser zu
haben waren. Sie verschwand im Studio vier, wo sie einen Fernsehfilm über den
Tenno und seine Samurais abkurbelten.
    Studio sechs war ein mächtiger
Betonkasten mit eisernen Schiebetoren und wenigen Fenstern, wie ein
Luftschutzbunker aus der Zeit des Großdeutschen Reiches. Eine breite Galerie
aus Stahlstreben und Holzplanken zog sich in halber Höhe um den Bau. Ich
drückte mich durch eins der Tore, um meinen Weg abzukürzen, und geriet in
träges Halbdunkel. Mit Mühe konnte man die mächtigen Eisenträger an der Decke
und die Kabel auf dem Boden erkennen. Aus der Mitte der Halle klangen Stimmen
und Gehämmer hinter den Holzwänden unserer Dekoration. Dort zauberte der
Architekt mit seiner Mannschaft die letzten Finessen für den »Mord, der nie
verjährt«.
    Ich ging im trüben Schein der Birnen
weiter zur anderen Seite, eine Eisentreppe hoch. Erst nach einer Biegung wurde
die Umgebung wohnlicher. Ein Läufer lag auf dem Linoleum, die Türen waren aus Holz,
und von den Wänden lächelten mich unsere Weltstars an, von denen viele ihre
Zukunft schon hinter sich hatten.
    Der Stab hatte seine Räume bereits
bezogen. Ich ging vorbei an der Aufnahmeleitung, der Pressestelle, dem
Produktionsleiter. Die vierte Tür war die von Reinold. Ich klopfte kurz und
blickte zum zweitenmal auf Tinas Rubinmund, der schon so viele Besucher
abgewimmelt hatte. Sie war seit vier Jahren Reinolds Sekretärin. Hin und wieder
war sie in ihn verliebt. Sie hatte zur Zeit rotgetöntes Haar. Ihre Augen waren
grau, mit einem Blick, der genau zu wissen schien, was man konnte und was
nicht. Sie hatte alles im Kopf. Unterhalb dieses Kopfes trug sie ein schlichtes
Gewand zu rund dreihundert Mark, und ihre Brust war in der Büroluft nicht
verkümmert.
    Ich baute mich vor dem Schreibtisch auf
und nahm ihre rechte Hand hoch.
    »Zeig deine Fingernägel!«
    »Warum?«
    Sie schnurrte ein bißchen beim
Sprechen, wie ein Tiger, bevor er eine Gazelle verspeist.
    »Ich will sehen, ob du der Gaby schon
die Augen ausgekratzt hast. Wo ist denn dein Arbeitgeber?«
    »Sie riechen nach Bier. Er kommt in
zehn Minuten.«
    »Dieses Bier wird er bezahlen. Ist dein
Mund sehr fusselig?« Sie streckte die Arme zur Decke.
    »Vierundzwanzig waren da seit heute
früh. Fünfzehn Mädchen und neun Männchen.«
    »Und?«
    »Reine Nietensammlung. Außerdem haben
wir fast alles.«
    Ich mußte an den Jühl denken.
    »War ein Bursche namens Jüstel dabei?«
    Sie war sofort im Bilde. »Nein, den hat
er extra bestellt. Soll Ihren Toni spielen.«
    »Aha«, antwortete ich, »bin in der
Kantine über ihn gefallen. Freundlicher Bursche.«
    Ich deutete auf die Tür zu Reinolds
Zimmer. »Jemand drin?«
    »Ist Gaby jemand?«
    »Frag deinen Chef. Ich setz’ mich zu dem
süßen Kind.«
    «Passen Sie auf Ihre Brieftasche auf.«
    »Nichts drin. Ist Cognac da?«
    »Gabylein wird ihn gefunden haben.«
    Tina hatte recht. Gaby hatte die Schuhe
abgestreift und die Beine hochgezogen. Es waren hübsche Beine, die Waden etwas voll,
aber ich mag so was und gehe deswegen oft zu Turnfesten und Eisrevuen. Mit
blonden Locken um ihr Madonnengesicht sah sie aus wie Schneewittchen, wenn
einer der sieben Zwerge Fieber hatte, aber sie war der größte kleine Teufel,
der je fremden Cognac getrunken hatte. Sie war Reinolds Freundin seit seinem
letzten Film, und der Vorschuß für den nächsten war nun auch schon nahezu alle.
Ich armer Mann hatte ihr eine Rolle hinbiegen müssen. Sie hielt das Drehbuch
auf dem Schoß und machte Stirnfalten. Vor ihr auf dem Rauchtisch stand die
Flasche.
    »So ein fleißiges Kind«, sagte
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