Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky
Autoren: Torsten Schulz
Vom Netzwerk:
vielleicht sogar bald.«
    »Doch! Er ist weg!«, schrie mich Carola an. »Und er kommt auch nicht wieder. Nie! Das weiß ich, intuitiv weiß ich das. Noch nie was von gehört, dass man manche Dinge eben weiß? Intuitiv, so nennt sich das.« Sie hielt inne, seufzte tief. »Entschuldigung, ich wollte ja keine Fremdwörter mehr sagen. Auch Optimallösung nehme ich zurück. Was bilde ich mir eigentlich ein, dir ständig irgendwelche Fremdwörter um die Ohren zu hauen? Weißt du eigentlich, warum ich zu dir gekommen bin?«
    »Ich hoffe, um mich zu sehen«, antwortete ich vorsichtig.
    »Ja, aber aus einem bestimmten Grund. Ich habe Reiner nicht begehrt, falls du verstehst, was ich meine, doch die Traurigkeit ist vielleicht gerade darum so groß und schmerzhaft. Kannst du mir das irgendwie erklären?«
    Ich zögerte. Überlegte, was ich darauf antworten konnte. Es sollte ja nichts Oberflächliches oder gar Unpassendes sein. »Darüber … Ich muss darüber erst nachdenken«, sagte ich schließlich.
    Es war meine ehrliche Antwort, aber womöglich klang sie abweisend. Jedenfalls meinte Carola: »Na gut, sicherlich hast du recht: Ich muss damit erst einmal allein fertig werden. So ist das eben. Hab die Ehre, mein Herr.«
    Sie lächelte wehmütig und bog um die nächste Straßenecke. Ich überlegte, ihr hinterherzugehen. Ich fand es ungerecht, wie sie auf meine ehrliche Antwort reagiert hatte, und fühlte mich noch überforderter als zuvor.
    Erst auf dem Nachhauseweg fiel mir auf, dass Carola überhaupt nicht geraucht hatte. Vermutlich hatte sie nicht mehr das geringste Problem damit, dicker zu werden.

41
    Fünf Abende lang zog ich durch Kneipen, trank Bier und Schnaps und verstrickte, sobald ich angetrunken war, irgendwelche Säufer in Gespräche über die Liebe. Einige der Männer tranken, weil sie an der Liebe gescheitert waren, und redeten freimütig davon. So wappnete ich mich für eine Antwort auf die Frage, die Carola umtrieb. Mein Herz schlug heftig, wenn ich daran dachte, sie zu besuchen. Ich fragte mich, ob das Herzklopfen Ausdruck von Liebe oder einfach nur der neuen Situation geschuldet war, von der ich nicht wusste, was sie alles mit sich bringen würde und wie ich sie meistern konnte.
    Am sechsten Abend ging ich in die Klement-Gottwald-Allee, sah Licht hinter Carolas Fenstern und klingelte bei ihr.
    »Falls du denkst, er wäre da«, sagte sie statt einer Begrüßung, »er ist es nicht.«
    Ich staunte über ihre klare, schöne Stimme. Nichts Heiseres mehr und schon gar nichts Quäkendes. »Das dachte ich nicht«, versicherte ich. »Und deshalb bin ich auch nicht gekommen.«
    »Komm rein!«, sagte Carola.
    Ich folgte ihr ins Wohnzimmer. Sie setzte sich auf das Kanapee mit den Blutflecken, ich an den Wohnzimmertisch. Sie trug einen Schlafanzug mit kurzer Hoseund schlug, als ob sie ihre Keuschheit zu betonen versuchte, die Beine übereinander.
    »Hier hatte er die Himbeergeistflasche mit der Fliege hingestellt«, sagte ich, um einen Gesprächsanfang zu finden, und zeigte auf die Stelle des Tisches, wo die Flasche gestanden hatte.
    »Ja«, bestätigte Carola, »Gott sei Dank hat er die mitgenommen. War einfach nur eklig. Genauso wie dieser ganze Reinkarnations- und Karma-Quatsch. Irgendwann hat er sogar mal gesagt, unsere Gesellschaft muss sterben, um als wahrer, echter Sozialismus wiedergeboren zu werden. Weiß nicht, was das mit Lenin und revolutionärer Situation zu tun haben sollte. Einfach nur Schwachsinn!« Sie seufzte, stöhnte. »Entschuldige bitte, seitdem ich nicht mehr rauche, bin ich etwas aggressiv. Schwankende Gefühle hab ich sowieso, wenn du verstehst, was ich meine.« Sie sah mich nicht an und schluckte zweimal, als müsse sie aufsteigende Tränen unterdrücken. »Schwankende Gefühle, kennst du das?«
    »Ja«, antwortete ich. Bevor ich Nilowsky und Carola kennengelernt hatte, hatte ich mir nie Gedanken über so etwas wie Gefühlsschwankungen gemacht. Doch das mochte ich jetzt nicht erläutern. Stattdessen wollte ich auf Carolas Frage kommen.
    »Das ist nicht selten so«, begann ich und zitierte aus dem einen und anderen Kneipengespräch, »dass man besonders traurig ist, wenn jemand fort ist, den man nicht begehrt hat, gerade dann, wenn er für immer fort ist, und man weiß nicht wohin … Das hat sogar eine Logik … Ich meine, man hat gar nichts, woran man sich halten kann … Also, da war keine Liebe, diese Liebe zwischen Mann und Frau … Was war aber sonst da?Darüber grübelt man, das lässt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher