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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky
Autoren: Torsten Schulz
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ich. Da wo er nicht ist, verstehst du? Aber darf mich nicht umbringen. Wer sich umbringt, muss weiterleben. Aber ohne ein anderes Lebewesen zu werden. Der spukt rum als der, der er ist. Mit dem miesen Selbstmörderkarma, das er hat. Und quält die Menschen, die von ihm träumen. Träumen müssen . Carola müsste von mir träumen, wenn ich mich umbringen würde. Du müsstest von mir träumen. Ist nicht schön, das sag ich dir. Deshalb muss es einer tun. Einer muss mich … Oder zwei. Keine Ahnung. Egal. Hauptsache, ich bringe mich nicht selber um. So wie der Alte. Weil ich es nicht geschafft hab.«
    Nilowsky nahm mein Gesicht in seine Hände, schaute mir wieder in die Augen. Nach ein paar Sekunden ließ er die Hände sinken, als hätte er in meinen Augen etwas entdeckt, das er schon lange wissen wollte. Das ihn beruhigte. Vielleicht sogar irgendeine Zuversicht gab.
    »Würdest du es tun? Wäre ganz einfach, wäre es. Müsstest mich nur besoffen auf die Schienen legen. Ganz einfach. Besoffen kann ich werden, wenn ich will. Besinnungslos besoffen. Carola kann dir ja helfen, mich auf die Schienen zu schleppen. Ihr müsst natürlich die Zeiten wissen, wann die Züge kommen. Das müsst ihr schon wissen. Kann ja nicht stundenlang rumliegen auf den Schienen, vielleicht noch bei Regen oder Schnee. Hol ich mir noch ’ne Grippe, hol ich mir, oder irgend so einen Blödsinn. Du denkst, ich spinne, oder? Du denkst, ich rede Nonsens. Um dich zu schockieren. Oder warum auch immer. Denkst du doch, oder?«
    »Nein«, antwortete ich, »das denk ich nicht.«
    Tatsächlich dachte ich das nicht. Im Gegenteil. Die Vorstellung, Nilowsky würde mir mit diesem Wunsch keine Ruhe mehr lassen, hatte mich bereits gepackt. Ich sah mich, wie ich ihn den Bahndamm hochzerrte, auf die Schienen legte und wartete, bis der Vierachtzehner kam oder der Siebendreizehner. Das jahrelang aufgesparte Sperma, stellte ich mir vor, würde meterweit spritzen, wenn der Zug seinen Körper zerquetschte. Ich wäre ein Mörder, dachte ich. Aber auch ein Befreier. Diesen Zusammenhang zu denken und zu fühlen, überforderte mich. Ich musste lachen.
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Entschuldige bitte.«
    »Wieso denn?«, entgegnete Nilowsky und stieß mirerneut mit dem Ellenbogen in die Rippen. »Du legst Heiterkeit an den Tag. Ist genau richtig. Denn die Aufgabe ist keine leichte, wahrlich nicht. Andererseits ist sie halb so schlimm. Das heißt, alle werden denken, es war Selbstmord, werden alle denken. Und als Belohnung kannst du Carola haben. Wenn ich weg bin, wird sie bald auch nicht mehr so abgemagert und hässlich sein. Aufblühen wird sie, wie irgendeine ihrer Blumen, die sie gepflegt hat, als sie noch als Landschaftsgärtnerin gearbeitet hatte. Das heißt also, wenn ich tot bin, haben wir beide was davon, haben wir. Nein, wir alle haben was davon, wir alle drei. Das ist Freundschaft, wahre Freundschaft. Nichts anderes ist das. Hast du eigentlich noch meine plattgefahrenen Groschen?«
    »Ja«, log ich. »Hab ich noch.«
    »Wirf sie weg. Morgen, heute noch. Wirf sie weg!«
    »Gut«, sagte ich. »Mach ich.«
    »Danke. Ewig sei’s dir gedankt. Und nun hau ab! Ich werde dir Bescheid geben, wenn es so weit ist. Wenn du zur Aktion schreiten darfst. Aktion Bahndamm. Das ist jetzt unser Geheimbegriff. Alles klar?«
    »Alles klar«, antwortete ich, blieb aber neben ihm sitzen.
    »Du sollst dich davonmachen«, fuhr Nilowsky mich an. »Na los, hopp, hopp!«
    Er stand auf. Ich ebenfalls. Ich spürte die Wut, die er ausstrahlte, und wich ein Stück zurück.
    »Oder glaubst du mir nicht, du Wichser, du feiger Wichser! Weg mit dir!«
    Er schlug seine Faust gegen meine Schulter, sodass ich fast hinfiel, und starrte mich hasserfüllt an.
    »Bis bald«, sagte ich. Es sollte selbstbewusst klingen.Aber ich kam mir unterwürfig vor. Wieder diese elende Unterwürfigkeit. Ich schämte mich dafür und ging los.
    »Und wehe, ihr lasst mich nicht verbrennen«, rief mir Nilowsky hinterher, »und meine Fleischstücke liegen überall rum! Gnade euch Gott, das sag ich euch.«
    Ich lief immer schneller und blickte mich nicht um.

40
    Der Sommer verging und der Altweibersommer. Sieben Jahre war es inzwischen her, dass ich Nilowsky und Carola kennengelernt hatte. Wieder hörte ich nichts von ihnen. Manchmal stand ich abends oder nachts, versteckt hinter einer der Laternen, auf dem Antonplatz und sah zu den Fenstern ihrer Wohnung hinüber. Nilowsky wollte ich keinesfalls wiedersehen. Carola
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