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Nightshifted

Nightshifted

Titel: Nightshifted
Autoren: Cassie Alexander
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sehen konnte, ob er sich
ausgebreitet hatte.
    Â»Du bist nicht gerade hilfreich«, erwiderte er
frustriert.
    Â»Wenn du wüsstest«, murmelte ich nur, als er ohne
Verabschiedung auflegte.
    Nachdem ich meine persönliche Mal- und Bastelstunde
beendet hatte, ließ ich das Telefon fallen und griff nach der Uhr.
    Sie wirkte alt. Das eingravierte goldene A war noch
deutlich zu erkennen, aber alle feineren Details auf dem Silber hatten im Laufe
der Zeit ihre Kontur verloren. Ich schob den Daumennagel unter den kleinen Hebel
und klappte sie auf.
    An der Innenseite des Deckels hing ein Foto, das –
falls es echt war – sehr alt sein musste. Ein Familienporträt in Sepiatönen:
zwei Männer, eine Frau und zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Meiner
Schätzung nach hätte einer der Männer Mr. November sein können, plus/minus
hundert Jahre. Die Männer trugen seltsam geformte Hüte, und die Frauen hatten
eine Art Taschentuch auf den Köpfen.
    Welche von ihnen war wohl Anna? Die Frau oder das
Kind? Ich strich mit meinem verfärbten Daumen über die Miniaturgesichter.
    Die Uhr tickte. Wenn ich sie auf Ebay verkaufte,
konnte sie vielleicht genug einbringen, um eine Rate des Studiendarlehens abzuzahlen.
Was ich … irgendwann vielleicht machen würde, falls es mir nicht gelang, herauszufinden,
wem sie gehörte. Ich konnte schließlich schlecht bei Kunst und Krempel anrufen:
»Hi, die hier habe ich einem alten Patienten geklaut … woher stammt sie wohl?«
Wem wollte ich hier eigentlich was vormachen – hielt ich mich jetzt etwa schon
für Nancy Drew, die Meisterdetektivin? Ich drehte die Uhr in den Händen und
beobachtete, wie das Silber in der Morgensonne funkelte. Ich wusste, dass es
mir nicht um die Erfüllung eines Auftrags ging. Ich wollte Absolution.
    Eine Ecke des Fotos ragte unter dem Deckel hervor und
kratzte über meinen Daumen. Vorsichtig zog ich daran. Als sich das Foto
schließlich löste, flatterte es zu Boden, wo es mit dem Bild nach unten liegen
blieb – woraufhin mir das Wort »Finderlohn« ins Auge sprang. Ich hob das Foto
wieder auf.
    Es war eng mit einigen Adressen beschrieben. Alle bis
auf die letzte waren durchgestrichen, sodass nur noch »336 Glade St. Apt 12«
übrig blieb. Überrascht stellte ich fest, dass ich diese Adresse kannte. Ich
hatte meinen Bruder einmal zu dieser Straße gefahren und dann so getan, als
würde ich nicht sehen, wie er Stoff kaufte.
    Meine Katze Minnie sprang auf das Fensterbrett. »Was
meinst du, wie stehen die Chancen, dass es dieselbe Straße ist? In dieser
Stadt?«, fragte ich sie. Nachdenklich schielten mich ihre blauen Augen an. »Und
wie stehen die Chancen, dass sie mir das Auto klauen, wenn ich da hinfahre?«
    Â»Miau.«
    Â»Genau dasselbe habe ich auch gedacht.« Aber es war
heller Tag, und es gab ja immer noch den Zug.
    Â 
    Die Zugfahrt dauerte
lange genug, dass ich mir blöd vorkam. Mein Mantel war dick, aber nicht
wertvoll genug, um stehlenswert zu sein, meine Stiefel hatten Stahlkappen und
mein Geld steckte zusammen mit einer Kreditkarte in meinem BH . Und ich hoffte, dass
mein härtester »Mach mich nicht an«-Blick den Rest erledigen würde – der und
Mr. Novembers Fläschchen, die ich wie Pistolen im Halfter rechts und links in
den Hosentaschen hatte.
    Der Zug blieb ruckelnd stehen, und ich war die
Einzige, die ausstieg. Vor dem Bahnhof ragten hohe Gebäude auf, und der Schnee
glänzte ölig. Ich ging an ein paar Wohnhäusern vorbei, ignorierte einige
Angebote und lief weiter bis zur Siebten Straße, bevor ich in die Glade abbog.
Mr. Novembers Adresse gehörte zu einem einzelnen kleinen Gebäude, das auf
beiden Seiten von Riesen eingeschlossen war. Ich klingelte am Haupteingang.
    Auf der anderen Seite der Tür erschien eine Frau, die
wahrscheinlich schon den Ersten Weltkrieg miterlebt hatte. Mit zusammengekniffenen
Augen musterte sie mich durch eine zerbrochene Scheibe, wobei eine Zigarette in
ihrem Mundwinkel steckte. »Ja? Was ist?«
    Bis zu diesem Moment war mir nicht bewusst gewesen,
dass ich eigentlich gar keinen Plan hatte. Hoffentlich lebte hier jemand, der
sich an ihn erinnerte und dem ich die Uhr übergeben konnte. Bei einem
Tageslichtagenten konnte man nicht davon ausgehen, dass er Familie hatte, aber
ich würde jeden befragen, von dieser Anna bis hin zu einem netten Nachbarn am
anderen Ende des
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