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Niemand

Niemand

Titel: Niemand
Autoren: Nicole Rensmann
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lag, dass sie ihn noch nie zuvor gesehen hatten.
    »Er sieht gut aus, oder?«
    »Traumhaft.«
    »Aber er ist zu groß für dich«, neckte Lilly die Klimper-Wünsche-Fee.
    »Ich glaube, er hat schon seine Prinzessin gefunden.« Fräulein Klimper wischte sich eine zweite, eine dritte Träne von den Wangen.
    Auf dem Schimmel des Kopflosen Reiters, den roten Mantel des Nikolaus wie eine Robe tragend, galoppierte der ehemalige Niemand, jetzige Ru Ben Malik Baptist I, den alle sofort Ben nannten, um den Thron und an den Niemandsländern vorbei. Nina saß vor ihm und hielt sich an der Mähne des Pferdes fest.
    Sie weinte. Und sie lachte.
    Der Kopflose Reiter hatte sich beim Schwarzen Mann eingehakt, denn ohne sein Pferd fühlte er sich haltlos.
    »Die Sonne geht bald auf. Lass uns bis zum Morgengrauen Karten spielen«, meinte der Schwarze Mann.
    »Dann rastest du doch wieder aus«, flüsterte eine der Muh-Tanten, die sich tief in die Schatten drückte.
    »Wer hat denn noch Angst vorm Schwarzen Mann?«
    Der Kopf- und Pferdlose Reiter zuckte mit den Achseln.
    »Keiner«, beantwortete sich der Schwarze Mann seine Frage selbst. »Ach, es hat mir eh nie Spaß gemacht, der Bösewicht zu sein. Ist doch ein doofes Spiel. Wer kennt was Besseres?«
    »Wir können Mau-Mau spielen. Ich zeig euch, wie es geht.« Der Nichtsnutz lächelte schüchtern in die Runde der Nachtgestalten.
    »Und wer ist Keiner?« Ein Stromschwimmer hatte sich aus dem Stromschwimmer-Pulk abgesetzt.
    »Es gibt keinen Keiner und keinen Niemand mehr!«, rief Ben, ritt am Wurzelmännchen vorbei, der hielt seinen Astarm hoch, und Menschenhand und Geästfinger klatschten sich gegenseitig ab. »Nun erhalten alle ihre Namen!«
      
    Ende gut, alles gut. Doch ein Ende gab es nicht.
    Diese langsam schwindende Nacht, die als St. Niemandslandnacht in die Geschichte einging und im Laufe der Jahre zur St. Nimmerleinsnacht vernuschelt wurde, veränderte alles.
    Die Niemandsländer warteten gemeinsam auf den Sonnenaufgang, manche schliefen, viele trauerten, alle freuten sich über den Herrscher, der nicht nur wie ein Prinz aussah, sondern auch einen Namen hatte. Ein Name, das war besonders. Mit einem Namen wurde ein Niemand zu einem Jemand. Ein Name, der schön klang und freundlich, ein Name für einen Herrscher, einen gütigen. Es war ein Name, der Mut und Stärke bewies, und es war ein Name, der ihr gefiel. Nina.
    »Eigentlich wollte ich nur deinen Thron sehen«, flüsterte Nina.
    Der Schimmel schritt langsamer, seine Gelenke versteiften sich. Ein erster schmaler Sonnenstrahl stahl sich über die Bergkuppe.
    Ben stoppte das Pferd, sprang ab und half Nina hinunter. Er streichelte dem Schimmel des Kopflosen Reiters über den Hals. »Danke für diesen Ritt.« Die Sonne streifte die Beine des Pferdes und verzauberte sie zu Stein. Es schnaufte, als sich der Admiral auf seinen Kopf niederließ. Der große schwarze Falter mit den orangefarbenen Augen auf den Flügeln flatterte auf und setzte sich bei Ben auf die Schulter.
    »Haben dich die Greislinge in den Zeitschalter geklemmt?«
    »Das war ein Missgeschick.« Leise sprach er weiter: »Du musst sie gehen lassen. Bring sie zur Grenze, beschütze sie bis dorthin. Es darf ihr nichts geschehen. Deiner Nina.«
    Der Admiral flog auf und legte sich auf den Pferderücken, der im selben Moment von der Sonne eingenommen und zu Stein verwandelt wurde. Der Schimmel wieherte und verabschiedete sich für einen Tag.
      
    Niemands Hals … Bens Brust – er musste sich noch an seinen Namen gewöhnen – schnürte sich zu. Er griff nach Ninas Hand. Sie lächelte ihn an, sie blickte in seine Augen, sie erkannte ihn und sah ihn. Sie mochte ihn. Vielleicht mehr. Er roch ihren leckerlieblichzuckersüßen Erdbeer-Verliebtsein-Duft. Sollte er sie jetzt, wo er sie endlich wiederhatte, gehen lassen?
        

99.

    Sonnenstrahlen kitzelten das Land wach, trockneten Tränen und streichelten die Nachtwesen in ihren steinigen Schlaf. Der Taugenichts hatte dem Kopflosen Reiter ohne Pferd und dem Schwarzen Mann Mau-Mau beigebracht. Jetzt saßen die Statuen im Gras, ein eingemeißeltes Lächeln auf den kalkweißen Lippen, ein paar neue, ernste Fältchen um die Augen, die Karten noch in der Hand. Erst wenn der Zeitschalter wieder auf Nacht schaltete und die Sonne sich verabschiedete, würden sie weiterspielen. Die Nachteulen hatten sich frühzeitig in Baumlöcher und Höhlen in Sicherheit gebracht. Ihre Art war vom Aussterben bedroht, denn die am Tag
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