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Niemand

Niemand

Titel: Niemand
Autoren: Nicole Rensmann
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leuchtende Flüssigkeit rann durch seinen leicht geöffneten Mund, füllte seine Mundhöhle aus und floss in Speise- und Luftröhre, bis sie auf den schlafenden Petit traf, der nun, von Elfen-Tränen durchtränkt, zu weinen begann.
    Anton schubste Nina zur Seite, drehte den Körper des Herrschers zur Seite und klopfte ihm auf den Rücken. »Petit, ich hol dich da raus!« Doch Anton war zu schwach.
    Das Wurzelmännchen setzte Anton vorsichtig zur Seite, umschloss Niemands – Bens – Oberkörper mit seinen Astarmen und drückte zu. Einmal. Zweimal. Es gab einen Ruck, Petit flog aus der Luftröhre heraus, zum zweiten Mal wurde er geboren und landete direkt in Antons weichen Sackarmen. Petit zog einen goldfarbenen Schwall hinter sich her. Pulver. Nein. Staub. Elfenstaub. Das Wurzelmännchen drückte noch einmal auf Bens Oberkörper. Elfenstaubbröckchen stoben aus Bens Mund wie Goldklumpen. Das Wurzelmännchen hatte noch nicht genug. Die Hoffnung trieb es an. Er hob Ben an einem Bein hoch und schüttelte ihn.
    »Nicht!«, rief Nina besorgt.
    Das Klavierspiel schwoll zu einem ohrenbetäubenden Geklimper an. Alle hielten sich die Ohren zu, nur der Arsch mit Ohren setzte sich.
    Dann gab es einen Knall.
        

97.

    Stille.
    Stille.
    Immer noch Stille.
    Ein Husten. Ein Röcheln. Ein Schrei. Der Nikolaus stürzte auf das Wurzelmännchen zu. »Lass ihn los! Lass ihn runter! Sofort!«
    »Niemand ist tot«, flüsterte der Taugenichts. Und die Niemandsländer riefen: »Niemand ist tot! Niemand ist tot!«
    »Nein!«, schrie Nina und Lilly miaute und jaulte. »Nein!«
    »Es lebe Ruben Malik Baptist!«, kreischte Tusnelda Laberbacke und brabbelte sofort darüber, was sie in dieser Nacht alles erlebt hatte.
    »Das klingt etwas überladen, aber es hat funktioniert.« Fräulein Klimper kippte nach vorne über und wäre wohl von Lillys Rücken gestürzt, wenn Anton sie nicht aufgefangen hätte. Petit im einen und Fräulein Klimper im anderen Sackarm schnarchten leise … und laut … und leise, aber selig im Chor.
    Der Nikolaus weinte. Lilly sackte kraftlos zusammen. Das Wurzelmännchen blickte erstaunt und stand wie angewurzelt. Der Roboter mit der Nummer 32 hatte sich hingesetzt und an einen Baum gelehnt. Sein Bein ließ sich nicht mehr bewegen. Es hatte ausgedient. Der Kleine Dickkopf hatte sich zu ihm gesetzt. Müde, aber stolz. Das Himmlische Kind saß in der Baumkrone über ihnen und fing all die Geräusche, Stimmen und Töne mit seinem Goldenen Horn auf. Jesus und der Heilige Geist lächelten. Der Schwarze Mann steckte sich eine Zigarette an – seine letzte. Die Niemandsländer jubelten, sangen und tanzten miteinander. Die Elfen sangen nicht – zum Glück, aber sie drehten Pirouetten in der Luft. Die Glaskrüge in den Händen hinderten sie an einem wilden Tanz, denn diese Elfen rockten gerne richtig ab, wenn sie unter sich waren. In dieser Nacht hätten sie vermutlich eine Ausnahme gemacht.
      
    Nina hörte nur ein Rauschen, die sich drehenden Elfen, den weinenden Nikolaus – all das nahm sie kaum wahr.
         Sie sah nur Niemand. Der kein Niemand mehr war und für sie nie ein Niemand gewesen war.
    Eine Gestalt, vielleicht ein Mann, mit einer schwarzen Kutte bekleidet, sein Gesicht hinter einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze versteckt, legte ihm den Nikolausmantel über die Schultern. Wie eine Robe schmiegte sie sich um seinen Körper, der bis auf einen Lendenschurz unbekleidet war.
    Nina ging einen Schritt vorwärts. Oder ging sie nicht?
      
    »Geh bloß weg von ihm. Er ist dir schließlich gerade erst von der Schippe gesprungen. Du kriegst ihn nicht wieder.« Der Nikolaus hatte seine Tränen getrocknet und schubste den Mann in der schwarzen Kutte zur Seite.
    »Ich bin wieder auf Urlaub, Alter. Reg dich ab.« Der Tod zog sich leise zurück.
    Niemand – nein, Ben – blickte den Nikolaus an, lange und prüfend. Dann sah er nach oben zu den Elfen und betrachtete anschließend die tanzenden Niemandsländer. »Was?« Er hustete, seine Stimme krächzte: »Was?«
        

98.

    »Er sieht aus wie ein Prinz.« Fräulein Klimper wischte sich eine Träne mit der Spitze ihres Zauberstabs fort, betrachtete sie einen Moment und zuckte die Schultern. Sie verlor nie eine Wimper. Müde schmiegte sie sich in Lillys Fell.
    »Er ist ein Prinz!« Lilly betrachtete stolz den jungen Mann, von dem noch der Elfen-Tränen-Schimmer ausging. Er lebte. Und wie er lebte. Noch nie hatte er so gesund ausgesehen, was natürlich daran
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