Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand

Niemand

Titel: Niemand
Autoren: Nicole Rensmann
Vom Netzwerk:
bildete sich in seinem Hals. Er durfte Nina nicht verlieren, versuchte sie zu berühren, vom Thron zu ziehen. Sie schien mit den Edelsteinen verschmolzen zu sein. Er würde seinen Namen und seine Sichtbarkeit zurückgeben, wenn sie nur leben durfte.
    Der Nikolaus ließ sich neben Ben ins Gras fallen. Schweißränder durchtränkten sein weißes Hemd, sein Bart war längst nicht mehr weiß, sondern voller Staub. Tränen hatten sich mit Greislingsblut vermischt. Lilly sprang auf Ninas Schoß, Fräulein Klimper konnte sich nicht mehr halten und fiel ins Gras – eine weiche Landung, die sie kaum bemerkte, denn sie sprang auf und schrie: »Nina! Wünsch dir was. Du hast noch zwei Wünsche frei! Wünsche dir Leben. Ewiges. Wünsch dich weg von hier. Für immer. Hauptsache, du lebst!«
      
    Doch Nina konnte sie nicht hören, denn die Niemandsländer riefen, tuschelten, jammerten. Als sie sich auf den Thron gesetzt hatte, spürte sie ein Kribbeln am Po und an den Oberschenkeln, es piekste an manchen Stellen, an denen die Edelsteine nicht glatt, sondern eckig waren. Die Sonne wärmte und die bunten Strahlen blendeten sie. Ruhe füllte ihren Körper, ihren Kopf, ihren Geist, ihre Seele aus. Sie schloss die Augen und wäre am liebsten eingeschlafen, dann sprang Lilly auf ihren Schoß. Sie sah auf. Ben und der Nikolaus lagen vor ihren Füßen und die Ruhe war verschwunden. Nina drückte Lilly an sich, setzte sie auf den Boden, stand auf und ging zu Ben.
    »Es ist alles in Ordnung! Es ist nichts geschehen. Ich war nur so müde. Bin es noch.«
    Ben umarmte Nina so fest, dass ihr fast die Luft wegblieb.
    Nina hatte auf dem Thron gesessen. Der Thron, der Macht und Magie vermitteln sollte und jeden, der seiner nicht würdig war, in einen Edelstein verwandelte. Doch Nina lebte, ein Mensch aus Fleisch und Blut.
    » Nina ist der Herrscher. Nur Nina, und sonst niemand«, flüsterte Fräulein Klimper und fiel in Ohnmacht.
        

100.

    Die Zweikäsehochs verabschiedeten sich als Erste. Unter Tränen versprachen sie, bald wiederzukommen, und machten sich auf den Weg, sie wollten noch vor der Dunkelheit die andere Seite des Stillen Wassers erreichen. Nach und nach folgten ihnen weitere Niemandsländer, die nach Hause gingen. Die einen schweren Schrittes, die anderen voller Stolz ihren Namen vor sich hinflüsternd, denn sie durften ihn nicht vergessen. Am Ende blieben nur wenige zurück.
    Auch das Wurzelmännchen, das zwar keinen Namen, jedoch den Softnamen Baumkuschler erlangt hatte, denn seine Wutanfälle hatte es mit Sanftmut getauscht, verabschiedete sich. Es blieb jedoch im Niemandswald, dicht bei der Niemandsburg, nah bei Lilly, Fräulein Klimper, Anton, Petit, dem Nikolaus, dem Himmlischen Kind und natürlich bei Ru Ben Malik Baptist dem Ersten. Ben.
    Sie saßen beieinander, wenige Meter vom Thron entfernt, dessen Farbdusche nur noch auf einer Seite niederregnete. Bald würden die Sonnenstrahlen nicht mehr auf das G treffen und die Nacht kommen. Doch vor der Nacht fürchteten sich die Niemandsländer nicht mehr. Sie freuten sich, die Statuen zu treffen und von der Neuigkeit zu berichten, dass ein Mädchen sich den Thron verdient gemacht hatte. Ein Mädchen, eine Nina. Und doch bliebe Ben ihr Herrscher. Sie kannten es nicht anders, sie wollten es so.
    Nina strich über jeden einzelnen Edelstein. Zu Hause, dort wo sie gestern – erst gestern? – aufgestanden war und mit ihrer Schwester die Oma besuchen wollte, lag ein handtellergroßer Amethyst auf ihrem Nachttisch, einen daumendicken Bergkristall trug sie als Glücksbringer in ihrer Schultasche mit sich. Viele kleine Edelsteine lagen in einer alten Truhe, die sie auf dem Trödelmarkt gekauft hatte. Sie liebte Edelsteine, mochte die Farben, die Formen, die Faszination dieser natürlichen Wunderwerke. Aber diese Steine schienen zu leben. Sie fühlten sich warm an und pulsierten unter ihren Fingerspitzen, manche stärker, andere kaum spürbar. Vier Diamanten hatte sie gezählt. Einer davon behütete die Seele einer Frau, deren Sohn heute von Nina getauft worden war – auf den Namen, der für ihn bestimmt gewesen war. Anton hatte Ben den richtigen Diamanten zeigen wollen, doch Ben bat nur um eins: »Wie war der Name meiner Mutter?«
    »Johanna«, hatte Anton gesagt. »Deine Mutter hieß Johanna.«
    Anton, der seiner früheren Bezeichnung als dreckiger Sack alle Ehre machte und dringend eine Dusche mit Wasser und viel Seife benötigte, hatte Petit in Bens Decke eingewickelt und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher