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Niemand lebt von seinen Träumen

Niemand lebt von seinen Träumen

Titel: Niemand lebt von seinen Träumen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die dort in einem kleinen oberbayrischen Haus wohnte. Die Tante hieß Henriette Breischlag und war unschuldig an diesem Namen, unter dem sie sehr litt. Aber da sie unverheiratet und eine geborene Breischlag war, blieb sie eben die Breischlags-Nette. Im Laufe der 64 Jahre, die sie nun schon zählte, hatte sie sich daran gewöhnt, diesen Namen wie ein Naturereignis hinzunehmen und nicht darüber nachzudenken. Sie ernährte sich neben ihrer Tätigkeit als Bäuerin auch noch vom Anfertigen schöner Klöppelspitzen und war in dieser Hinsicht eine in Garmisch und Umgebung anerkannte Künstlerin, deren Spitzen nicht nur in München verkauft wurden, sondern manchen Altar einer Bauernkirche in Oberbayern zierten.
    Breischlags-Nette war ein Original besonderer Natur. Nicht etwa, daß sie besonders berühmt wegen ihrer unverfälscht bayrischen Kraftsprache war – solcher Ausdrücke waren in Garmisch viele mächtig – o nein, Nette rauchte Pfeife, eine richtige lange Großpapa-Hängepfeife. Das war selbst in Oberbayern eine Seltenheit und wurde nicht gleichgültig hingenommen, sondern immer wieder mit großer Neugierde bestaunt. Es gab sogar Tage, an denen es im Ort hieß: »Geht mal bei der Breischlags-Nette vorbei. Die Alte sitzt wieder vor der Tür und raucht Pfeifn!« Dann machten sogar die Schulkinder nach Schulschluß einen Umweg und stürmten lärmend und lachend an dem schönen, alten Haus vorbei, um Nette mit der langen Pfeife zu sehen.
    Nette störte das unverhohlene Begaffen nicht mehr. Wer im Leben sonst keine Freude hatte, war berechtigt, sich wenigstens in aller Ruhe ein Pfeifchen zu genehmigen.
    Susanne kannte ihre Tante Nette nicht. Als sie nach Garmisch aufbrach, wußte sie nur, daß es die Schwester ihrer verstorbenen Mutter war, die als einzige der vier Geschwister ledig und daher in Garmisch ansässig geblieben war. Die Mutter hatte ihr des öfteren von der Tante in Garmisch erzählt und sie als eine herzensgute, nette Person beschrieben. Ein bißchen grob in ihrer oberbayrischen Art, aber mit dem Herz auf dem rechten Fleck.
    So hatte Susanne sich einfach mit einem Brief angemeldet, den Tante Henriette voll Verwunderung las und nicht wußte, was sie sich nun darauf für einen Reim machen sollte.
    Ihre Nichte Susanne schrieb:
    » Du wolltest doch schon immer, daß wir uns endlich einmal kennenlernen. Ich habe nun bald Semesterferien und würde mich freuen, wenn ich für einige Zeit zu Dir nach Garmisch kommen könnte. Ich verspreche, daß ich Dir nicht allzuviel Mühe machen werde. Ein Bett zum Schlafen ist alles, was ich mir wünsche. Und wenn es im Hause oder auf dem Hof etwas zu tun gibt, will ich Dir helfen …«
    »Dös werd guat!« sagte Tante Nette sarkastisch und stopfte sich die lange Pfeife, um in Ruhe nachzudenken. »Dös gibt a Unruh, sakra, sakra …« Aber sie meinte es gar nicht so. Im stillen freute sie sich sehr, Susanne endlich zu sehen und kennenzulernen. Immer hatte sie nur aus Briefen, die ihre Schwester ihr schrieb, von ihrer Nichte erfahren.
    Ihre Freude bewies Tante Nette dadurch, daß sie den alten Knecht Sepp aufscheuchte, durchs Haus jagte, das Gästezimmer richten ließ und selbst das riesige schwere Federbett mit dickem, karierten Leinen bezog.
    »Is dös Dearndl guat beianand?« fragte der alte Knecht nebenbei. Tante Nette sah ihn von der Seite an und brummte: »Du Lackl, du host di um den Mist zu kümmern!«
    Und der Knecht trollte sich, denn mit Tante Nette war in dieser Beziehung wohl nicht gut Kirschen essen. Das sah er deutlich an ihrem drohenden Gesichtsausdruck.
    Es war also alles bestens vorbereitet, als Susanne an einem Vormittag in Garmisch eintraf und mit hängenden Armen am Bahnhof stand. Die beiden kleinen Koffer, die sie mitgebracht hatte, stellte sie neben sich in den Staub.
    Garmisch zeigte sich an Susannes Ankunftstag von der allerbesten Seite. Es war herrliches Wetter. Die in Gipfelnähe schon schneebedeckten Berge glitzerten in der Sonne und ragten majestätisch in den stahlblauen Himmel. Einheimische mißtrauten diesem Bilderbuchwetter allerdings im allgemeinen, da es sich zumindest in dieser Jahreszeit um einen, wie man hier sagte, geradezu mörderischen Föhn handelte, der den wetterfühligen Menschen schwer zu schaffen machte.
    Susanne berührte das alles nicht. Weder spürte sie den Föhn, noch wurde sie von dem schönen Wetter und dem herrlichen Bergpanorama gefangengenommen. Sie war innerlich wie leergebrannt. Ein dicker Kloß saß ihr seit der Abfahrt
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