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Niemand lebt von seinen Träumen

Niemand lebt von seinen Träumen

Titel: Niemand lebt von seinen Träumen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sonderlich schwer zu sein schien, mit ihrer rechten Hand hin und her schwenkend, verließ Susanne die ›Kolumbuskaje‹ und fand sich bald darauf in den engen, verwahrlosten Straßen, die zu den einzelnen Hafenbecken führten, wieder. Alles trug noch den Stempel der furchtbaren Bombardierungen. Sie wand sich zwischen Lagerschuppen und Vorratshäusern, Heuerbüros und Umladekränen, kleinen Bootswerften und einem Gewirr von Kleinbahnschienen hindurch. Am Rande des Hafengebietes entdeckte sie ein kleines Café, dessen fast blinde Scheiben schon von außen dokumentierten, daß hier nicht unbedingt die bessere Gesellschaft verkehrte. Trotzdem konnte Susanne ihrem Verlangen nach einer Tasse Kaffee nicht widerstehen. Zwar war es nun schon über zwei Jahre her, seit mit Einführung der D-Mark fast über Nacht auch dieses Genußmittel wieder überall im freien Handel zu kaufen gewesen war, aber es blieb ein teures Vergnügen, vor allem für eine Studentin, die sich selbst durchs Leben schlagen mußte.
    Stickige, verbrauchte Luft schlug Susanne entgegen, als sie das Café betrat. Der Geruch von kaltem Rauch und billigem Fusel ließ eine leichte Übelkeit in ihr aufsteigen. Es war nicht zu übersehen, daß das Café zur Matrosenkneipe heruntergekommen war. Drei Männer, die augenscheinlich den Rausch der vergangenen Nacht mit Kaffee zu dämpfen versuchten, waren die einzigen Gäste. Susanne kämpfte einen Moment mit sich, ob sie nicht sofort umkehren sollte. Dann siegte ihre Begierde nach der Tasse Kaffee, und sie setzte sich an einen Ecktisch, von dem aus sie das Lokal überblicken konnte. Als sie sich bei der Bedienung, die schnell erschienen war, eine Portion Kaffee bestellt hatte, nahm sie die Tageszeitung vom Wandhaken und blätterte gedankenverloren in ihr herum.
    Ich muß nachdenken, sagte sie zu sich selbst. Es wird allerhöchste Zeit, daß ich endlich einen Weg finde, wie ich wirklich nach Amerika kommen kann. Eigentlich ist es verrückt – da packt man die allernötigsten Sachen in einen kleinen Koffer, setzt sich in Köln in den Zug, fährt nach Bremerhaven und will einfach nach Amerika. Nicht, weil man plötzlich Fernweh hat, sondern weil Frank seit einem Jahr dort drüben ist – Frank Barron, der Ingenieur, den sie liebte, von dem sie sich wiedergeliebt wußte – Frank, der vor fast einem Jahr eine Stelle in Ohio bei der Ohio Steel Company angetreten hatte. Man hatte von dort dem Experten für ein neues Stahlveredelungsverfahren ein glänzendes Angebot gemacht, und Frank war hinübergefahren mit dem festen Vorsatz, Susanne bald nachzuholen.
    Bald würde sich der Tag, an dem er in Hamburg auf das Schiff gegangen war, jähren. Und noch immer schrieben sie sich Briefe. Briefe, in denen aus jeder Zeile die Erwartung sprach, bald wieder vereint zu sein. Sie hatten doch so wenig voneinander gehabt. Denn kaum hatten sie sich kennengelernt, erreichte Frank der Ruf nach Amerika. Susanne würde den Tag, an dem sie mit Frank im wahrsten Sinne des Wortes zusammengestoßen war, nie vergessen. Es war der 16. Mai 1949 gewesen, ein strahlender Frühlingsmontag.

2
    Susanne war damals als Kunststudentin im vierten Semester mit einer großen Seminararbeit über die Frauenbildnisse Rembrandts beschäftigt und hatte beschlossen, den Lockungen der Sonne zu folgen und eine Stunde im Volksgarten spazierenzugehen. Es würde wohl nicht schaden, nach den anstrengenden Schreibarbeiten in ihrer Bude den Geist etwas zu lüften.
    Als sie, überwältigt von der Schönheit der Natur, unachtsam um eine blühende Ginsterhecke bog, stieß sie fast mit einem großen, schlanken Herrn zusammen, der es offenbar sehr eilig hatte.
    »Nanu«, sagte der große Herr, wobei die Ironie in seiner Stimme nicht zu überhören war. »Ihre Nachdenklichkeit ist schon ein großes Verkehrshindernis, mein Fräulein.«
    »Ich bin nicht Ihr Fräulein«, gab Susanne schnippisch zurück. Es mißfiel ihr, daß sich ihr Gegenüber nicht entschuldigte. Natürlich war ihr klar, daß er an dem Zusammenstoß unschuldig war. Aber ein Herr hat sich bei einer Dame immer zu entschuldigen – auch wenn er im Recht ist!
    »Was nicht ist, kann ja noch werden!« Der Herr lachte und verbeugte sich korrekt. »Sie gestatten, mein Fräulein: Frank Barron! Ingenieur.«
    »Interessiert mich nicht im geringsten!«
    Susanne wollte sich abwenden, aber der unverschämte Kerl hielt sie einfach am Ärmel ihres Kleides fest. Es war ihr erstes Chiffonkleid, das sie sich über Monate hinweg vom
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