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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Autoren: Annick Cojean
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Schreien. Ich kann gar nicht sagen, was sie für Schmerzen gehabt haben müssen! Aber der Chef der Brigade hat uns dazu gezwungen: vergewaltigt, schlagt zu und filmt! Das schicken wir dann ihren Männern. Wir wissen, wie man diese Arschlöcher demütigt!«
    Der erste Vergewaltiger verdammte Gaddafi und flehte darum, dass man bloß nicht seiner Mutter erzählte, welcher Sache man ihn beschuldigte. Der zweite jammerte, dass ihn die Gewissenbisse plagten, dass er keine Ruhe finde. Er studierte den Koran, betete Tag und Nacht, hatte alle seine Vorgesetzten denunziert und sagte, dass er jede Strafe akzeptieren würde. Auch den Tod.
    »Der Befehl kam von ganz oben«, bestätigte Mohammed al-Alagi. »Uns liegen Zeugenaussagen aus dem engsten Umfeld von Gaddafi vor. Ich selbst habe seinen ehemaligen Außenminister, Mussa Kussa, sagen hören, er sei dabei gewesen, als Gaddafi den Kata’ib-Anführern befahl: ›Erst vergewaltigen,dann töten.‹ Es entsprach seiner Gewohnheit, mit dem Sex als Waffe zu regieren und die Leute zu vernichten.«
    Bedurfte es noch weiterer Beweise dafür, dass es sich um ein systematisches Vorgehen handelte? Um Vorsätzlichkeit? Sie lagen auf der Hand. Hunderte von Viagra-Schachteln waren in Bengasi, Misrata, Zuwara und sogar in den Bergen gefunden worden.
    »Überall, wo seine Milizen stationiert waren, hatte man es gefunden. Außerdem haben wir Verträge über im Voraus bezahlte Bestellungen entdeckt, unterschrieben von der libyschen Staatsmacht ... Eine Kriegswaffe, ich sagte es Ihnen ja bereits.«
    Muammar al-Gaddafi träumte bisweilen davon, Schriftsteller zu sein, und hatte 1993 und 1994 sechzehn Novellen veröffentlicht, die von lyrischen Höhenflügen, beschwörenden oder morbiden Klischees und völlig verrückten Gedanken nur so wimmelten. »Sie spiegelten sein ganzes Unglück«, erinnerte sich Mohammed al-Alagi, bestürzt angesichts eines solchen – beinahe vorausschauenden – Eingeständnisses seiner Angst vor dem Volk wie in Eskapade in der Hölle :
    »Diese unbarmherzigen Massen, unbarmherzig sogar gegenüber ihren Erlösern, ich spüre, dass sie mich verfolgen ... Wie liebevoll sie in Augenblicken der Freude sind, wenn sie ihre Kinder über sich erheben! Sie haben Hannibal und Perikles auf Händen getragen ... Savonarola, Danton und Robespierre ... Mussolini und Nixon ... Und wie grausam sind sie in Augenblicken des Zorns! Sie haben ein Komplott gegen Hannibal geschmiedet und ihn Gift trinken lassen, sie haben Savonarola auf dem Scheiterhaufen verbrannt ... Danton aufs Schafott geschickt ... Robespierre, ihrem geliebtenRedner, die Kiefer gebrochen, den Körper Mussolinis durch die Straßen geschleift, Nixon ins Gesicht gespuckt, als er das Weiße Haus verließ, in das sie ihn unter Beifall katapultiert hatten!« Und der Diktator fügt hinzu: » Wie ich die Freiheit der Massen liebe, ihre überschwängliche Begeisterung, nachdem sie sich aus den Ketten befreit haben, wenn sie singen nach all dem Wehklagen. Aber wie sehr fürchte ich sie, und wie sehr entsetzen sie mich! Ich liebe die große Menge, wie ich meinen Vater liebe, und ich fürchte sie, wie ich ihn fürchte. Wer wäre in einer beduinischen Gesellschaft ohne Regierung schon imstande, die Rache eines Vaters an einem seiner Söhne zu verhindern? ...«
    In der Tat, die breite Masse hat sich gerächt. Manches Mal während meines Aufenthaltes in Tripolis überraschte ich Libyer dabei, wie sie sich mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination die chaotischen und obszönen Bilder ansahen, die den von Jubelschreien der Kämpfer begleiteten Todeskampf Muammar al-Gaddafis zeigen. Die mit Mobiltelefonen gefilmten und montierten Sequenzen wurden mit revolutionären Gesängen unterlegt, die die Heldentaten der Aufständischen feierten. Ein Bild allerdings wagten die Rebellen meist nicht in ihre Videos einzufügen. Zwei Frauen führten es mir wenige Tage nach dem Tod des Führers auf ihrem Handy vor, wobei sie den Finger auf die Lippen legten, als handelte es sich um ein Geheimnis. Ich riss die Augen auf, der Bildschirm war schmal, die Aufnahme ein wenig unscharf. Ich konnte es nicht fassen! Ich war so schockiert, dass ich glaubte, mich zu täuschen. Aber nein, es war genau das, was ich sah: Noch vor der Exekution, den Schlägen, den Schüssen, all dem Drunter und Drüber, rammte einer derRebellen dem gestürzten Diktator einen Holzstock oder eine Metallstange zwischen die Hinterbacken, er fing sofort an zu bluten. »Vergewaltigt!«,
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