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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Autoren: Ernst Peter Fischer
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tatsächlich eine »Revolution«, indem sie den damals unerhörten Standpunkt begründen und verteidigen, dass es für die Menschen »im Grunde kein endgültiges, objektives Kriterium für ihre Entscheidungen geben könne«, wie die Verkünder der Rationalität uns vorgegaukelt haben.
    Die Wegbereiter der Romantik und ihre Nachfolger machen auf vielen Ebenen und an vielen Beispielen deutlich, an welcher Stelle das sonst so überzeugende und nach wie vor lebensnotwendige Programm der Aufklärung seine Grenzen findet und durch etwas anderes ergänzt werden muss und kann. Bei Isaiah Berlin ist das folgendermaßen nachzulesen: Das rationale Grundgerüst der Aufklärung macht einerseits Mut, vernünftige Fragen – über die Natur der Dinge oder des Menschen – zu stellen, zum anderen stellt es auch eine Reihe von (oftmals wissenschaftlichen) Methoden bereit, um diese Fragen mit vernünftigen Antworten abzuarbeiten. Man kann zum Beispiel wissen wollen: »Wie fließt Strom durch einen Draht?«, »Wie viele Sterne stehen am Himmel?«, »Wie weit sind die Planeten von uns entfernt?«, »Woraus besteht Wasser?« , »Was macht Zucker süß?«. Das alles kann man verstandesmäßig erklären und naturwissenschaftlich-experimentelle Befunde
dabei zu Hilfe nehmen. Man kann aber auch wissen wollen: »Was ist Gerechtigkeit?«, »Wie erfahren Menschen Glück?«, »Soll man dem Ratschlag eines Lehrers folgen?«, »Gibt es einen gütigen Gott?«, »Wie erziehe ich meine Kinder?«, ohne jemals mit einer Antwort aus rationalen Gründen allein zufriedengestellt zu werden. Die Romantiker entdecken und akzeptieren, dass es zwar vernünftige Antworten auf vernünftige Fragen gibt. Sie sehen aber zugleich auch, dass sich diese vernünftigen Antworten ins Gehege kommen und sogar widersprechen können. Damit kommen Menschen in eine Situation, die sie durch keine weitere von ihrem Verstand betriebene Analyse auflösen können, die ihnen vielmehr eine Entscheidung aus anderen Quellen abverlangt. Romantisches Denken unterscheidet zum ersten Mal deutlich und konsequent zwischen Fragen nach Tatsachen und Fragen nach Werten und betont, dass nur Ersteres etwas für die Wissenschaft und systematisch zu entscheiden sei, während sich Zweiteres einem rationalen Zugriff entziehe und andere Instrumente aus dem Repertoire der men schlichen Verhaltensweisen verlange.
    Über Tatsachen kann man sich (objektiv) einigen, Werte bedeuten für jeden Einzelnen (subjektiv) etwas anderes. Sie werden im Verständnis der Romantik von autonomen Personen hervorgebracht, und zwar in Form einer freien kreativen Entscheidung, die im Gegensatz zu der Bewertung eines anderen stehen kann. In diesem Denken der Romantik kommt letztlich einem Menschen keine eindeutige Natur zu, da er sich selbst erfindet, und die Werte, die er dabei aus seinem Inneren hervorbringt und anstrebt, lassen sich auf keinen Fall durch objektive Aussagen von außen beschreiben oder ableiten.
    Die Romantik steht der Aufklärung gegenüber, sie ist vor allem als Gegenbewegung verständlich und wirkungsvoll und geht dabei mit der Rationalität das ertragreiche Wechselspiel ein, das in diesem Buch als Vorgabe der großen wissenschaftlichen Leistungen Niels Bohrs betrachtet wird. Der für seine Biographie und die damit erfasste Zeit entscheidende Punkt besteht darin, dass sich die Menschen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus beiden
genannten Traditionen bedienen können und dies in vielen Fällen auch tun.
    Dieser Standpunkt von romantischen Elementen in der Geschichte der Wissenschaft wird traditionell denkenden Theoretikern, die sich stets auf der Suche nach einer Logik in der Forschung befinden, Mühe machen. Die Schwierigkeiten rühren daher, dass die Romantik »noch immer ihrer Historiker« harrt, wie Isaiah Berlin bitter beklagt, obwohl keine Bewegung in der menschlichen Geistesgeschichte eine der Romantik vergleichbare Wirkung gehabt habe. »Wer diese Revolution nicht begriffen hat, wird letztlich keine der modernen politischen Bewegungen verstehen können«, lautet Berlins Anklage an die politische Philosophie und die entsprechende Geschichtsschreibung, die an dieser Stelle aufgenommen und fortgeschrieben wird. So wird in diesem Buch die Ansicht vertreten, dass auch keine der modernen wissenschaftlichen Bewegungen verstanden werden kann, wenn dem aufgeklärt-rationalen Vorgehen nicht der Beitrag des romantischen Denkens ebenbürtig an die Seite gestellt wird. Aufklärung allein bringt
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