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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Autoren: Ernst Peter Fischer
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Mädchen entlangkommt, sofort ihre Notlage erkennt und zielgenau sein Lasso wirft, das zum Glück die richtige Länge hat und von dem unglücklichen Mädchen ergriffen wird. Ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, dass ihre Kraft ausreicht, um sich frei schwebend daran festzuhalten und in die rettende Höhe ziehen zu lassen. Was mir nur extrem unwahrscheinlich erscheint, ist die Tatsache, dass zur selben Zeit, in der dies alles passiert, sich zusätzlich ein Kamerateam
am Ort des Geschehens eingefunden hat, das die ganze Aufregung auch noch auf Film festhält.«
    Im Anschluss an die Kinobesuche machte sich Bohr zumeist Gedanken über die Frage, wie es kommt, dass in den Wildwestfilmen zwar stets der Bösewicht zuerst zur Waffe greift, es aber letztlich dem Guten gelingt, als Sieger aus dem Wettkampf hervorzugehen. Solch ein permanentes Happy End könne Hollywood doch nur zeigen, wenn es wenigstens halbwegs überzeugend wirkt. Bohrs Erklärung basierte auf der Beobachtung, dass viele Abläufe in der Natur deshalb so gut gelingen, weil die beteiligten Organismen nicht über ihr Tun nachdenken und sie einfach instinktiv und intuitiv beherrschen, und zwar fehlerfrei. Dies trifft auch für den Filmhelden zu, der automatisch seinen Colt zieht, wenn der Bösewicht zur Waffe greift; jener musste zuvor über den passenden Zeitpunkt nachdenken und agiert daher im Moment der Entscheidung langsamer.
    Um Bohrs Theorie des instinktiven Wahrnehmens von Absichten auszuprobieren, kaufte Gamow übrigens zwei Spielzeugpistolen, die sich die Kontrahenten – Gamow und Bohr – umbanden und tatsächlich auch im Seminar trugen. Der Russe übernahm die Rolle des Ganoven, der, wie sich herausstellte, tatsächlich keine Chance gegen den Helden Bohr hatte, selbst wenn während des Duells gerade heftig über schwierigste Physik argumentiert wurde und die Umlagerungen von Atomkernen zur Debatte standen.

»Nur um zu lernen«
    Bohr war also für jeden Spaß zugänglich und im Umgang mit Menschen äußerst neugierig. Dies kam vor allem im Gespräch zum Vorschein, wenn es um die Fragen ging, die ihn als Physiker fesselten. Dann verspürte Bohr keine Müdigkeit mehr, er hörte ungeheuer konzentriert zu und versuchte, alle ihm gegebenen Erklärungen im Detail zu verstehen – was zunächst einmal bedeutete, dass er mit wachsendem Vergnügen in seinen Gedanken mit dem Gegenteil des gerade Gehörten experimentierte und zu erkunden versuchte, ob
die entsprechende Position eventuell stimmig sein könnte. Seinen oft verzweifelten und bald erschöpften Gesprächspartner beruhigte Bohr dann mit den legendären Worten: »Wir sind viel mehr einig, als Sie denken.« Schließlich setzte er seine bohrende Skepsis in Gang, »nicht um zu kritisieren«, wie er ebenfalls wiederholt betonte, sondern »nur um zu lernen«. Letztendlich hatte er in der Physik oft die Erfahrung gemacht, dass die Annahme einer anderen Sicht tatsächlich dazu führen kann, dass von diesem entgegengesetzten Standpunkt aus betrachtet die Dinge an Klarheit gewinnen. Dass zwei gegenteilige Ansichten im Wechselspiel mehr bringen als eine einseitige Festlegung, wie es etwa auch die Richter handhaben, die erst nach Anhören von Rede (Anklage) und Gegenrede (Verteidigung) Recht sprechen.
    Unangenehm wurde es im Gespräch mit Bohr, wenn die einzigen Worte, die er äußerte, »sehr interessant« lauteten. Bald sagte er dann nur noch »sehr, sehr«, und spätestens jetzt musste sein Gegenüber merken, dass er wenig gesagt hatte, das Bohr tatsächlich interessant genug fand, um sich weiter damit zu befassen.
    Bohr sah den Menschen in solch einem Spannungsfeld. Für ihn agiert der Mensch sowohl als Zuschauer als auch als Mitspieler in dem Theater, in dem unser Leben spielt. Dabei lässt er offen, wer für ihn als Autor des Dramas infrage kommt, das unsere Existenz darlegt. Vermutlich bereitet ihm selbst die Antwort darauf keine Mühe. Der Autor – die poetische Kraft – steckt in jedem von uns. Wir schreiben unser Leben selbst. Deshalb können wir auch davon erzählen.

KAPITEL 1

Eine dänische Familie
    Im 19. Jahrhundert finden viele Territorien den Weg zur nationalstaatlichen Einigung, die zur Entstehung des Nationalbewusstseins führt – so auch Dänemark; hier etablierte sich nach Gebietsabtrennungen an Großbritannien und Schweden im Frieden von Kiel 1814 und nach dem Schleswig-Holsteinischen Krieg (1848–1851) eine konstitutionelle Monarchie, die eine erste Verfassung, das Grundgesetz
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