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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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war vielleicht acht oder neun Jahre alt, und er sollte das erste Mal etwas bei einem Volksmusiktreffen vorjodeln. Er hat deshalb seinen Vater, meinen Opa, gefragt, ob er ein bisschen mit ihm übt. Es war herrliches Wetter, der Sommer 1932 war ja legendär, und sie sind in den Garten gegangen. Sie haben den berühmten Wechsel von Kopf- zur Bruststimme geübt, das ist ja das A und O beim Jodeln. Mein Großvater hat meinem Vater ein paar besonders spektakuläre Jodelkunststücke beigebracht, zum Beispiel den Duodezim-Oktav-Schnackler, der, wenn er schnell ausgeführt wird, besonders virtuos klingt.«
    »Können Sie den einmal vorführen?«, fragte Nicole Schwattke dazwischen. Hölleisen setzte sich in Positur und jodelte. Alle am Tisch applaudierten.
    »Danke für den Applaus, aber Sie müssten meinen Vater einmal hören! Die beiden haben gerade den Andachtsjodler geübt, einen langsamen und deshalb sehr schwierigen Jodler, da kommen ein älterer Herr und eine dazu passende Dame vorbei. Die haben ein wenig zugehört, dann ist der Herr an unseren Zaun getreten und hat sich und seine Frau vorgestellt. Er wäre der Thomas Mann, hat er gesagt, und das wäre die Frau Mann, was mein Vater als Bub besonders lustig fand. Dann hat der Herr Thomas Mann gefragt, ob er weiter zuhören dürfe, mein Großvater hat das bejaht und ihm auch ein wenig erklärt, was es denn für verschiedene Jodler gäbe, den Berchtesgadener Sauroller, den Werdenfelser Juchzer, den Reit im Winkler und so weiter. Er wäre Schriftsteller, hat der Thomas Mann gesagt, er würde über das Jodeln vielleicht eine kleine Geschichte schreiben. Und dann wandte er sich direkt an meinen Vater. Ob er denn diesen Andachtsjodler nicht noch einmal wiederholen könne. Ausgerechnet den anstrengenden Andachtsjodler hat er sich immer und immer wieder vorführen lassen! Sie können sich vorstellen, dass mein Vater zum Schluss stockheiser war, kein Wort hat er mehr herausgebracht. Er hat nach Luft geschnappt und gehustet. Weiter, bloß noch einmal diesen Andachtsjodler, hat der Herr Mann gesagt. Und dann zum Vergleich noch mal den Steirischen, hat die Frau Mann gerufen.«
    »Und Ihr Herr Großvater hat das zugelassen?«, fragte Stengele.
    »Er hat meinen Vater sogar angefeuert, noch und noch einmal zu jodeln, meine Großmutter hat warmes Bier gebracht, damit es mit der Stimme wieder geht, bis mein Vater völlig erschöpft war. Der Herr Thomas Mann hat nach dem Namen unserer Familie gefragt und hat gesagt, dass er vielleicht sogar einen Roman mit dem Titel
Der Andachtsjodler
schreiben wird. Da war mein Vater natürlich schon stolz, aber, ehrlich gesagt: Etwas Materielles, zum Beispiel eine kleine Aufbesserung des Taschengeldes, wäre ihm noch lieber gewesen.«
    »Es hat überhaupt keine Belohnung gegeben?«, fragte Nicole.
    »Wissen Sie, was der Thomas Mann zu meinem Großvater gesagt hat:
Im Buche sich aufzulösen, sei dem Knaben Entlohnung genug.
Dann hat er den Arm seiner Frau genommen und ist gegangen. Und heiser ist mein Vater heute noch von der Jodelei.«

    Kommissarin Nicole Schwattke hatte es sich trotz Halskrause nicht nehmen lassen, ihre neu erworbene Lederhose anzuziehen.
    »A Mass Bia!«, sagte sie zur Kellnerin.
    »Ja Himmelherrgott, heute wimmelts aber von Preußen!«, rief Hölleisen und begrüßte Nele Tienappel, die blonde Ostseesprotte, die an den Tisch gekommen war.
    Der Mann, der sie begleitete, war ein großgewachsener, ebenfalls blonder Bayer mit einer markanten Nase und einem mächtigen, herrlich unmodernen Backenbart. Seine Augen gingen ins Bodenlose, seine Stimme war warm und samtig, seine Hände konnten beherzt zupacken. Seufzende Blicke, gerötete Wangen, schweißnasse Handinnenflächen – alle am Tisch nickten sich wissend zu.
    »Das ist mein Freund, der Manfred Werlberger«, stellte ihn Nele Tienappel stolz und mit glänzenden Augen vor. Der Riese verbeugte sich. Nele Tienappel musterte ihn von der Seite.
    »Wo glotzt du denn dauernd hin?«, sagte sie leise zu ihm.
    »Ich glotz doch gar nirgends hin.«
    »Doch, ich sehs doch: zu der Dunkelhaarigen mit dem Mini-Dirndl, zwei Tische weiter.«
    »Wer, ich?«
    »Wer sonst! Alle paar Sekunden hast du einen Grund gefunden –«
    Die Kapelle schmetterte mit einer Blasmusikfassung von ♫ I can get no satisfaction … dazwischen.

Anhang 1
    Rätselauflösungen
    Was ist ein Prusikknoten?
    a) eine Gewebeverdickung, b) eine Verkehrsinsel, c) eine Bergsteigerseilschlinge oder d) ein Engpass bei der
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