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Nicolai

Nicolai

Titel: Nicolai
Autoren: Christine Balasch
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war der Zug doch auch schon abgefahren. Und immerhin
lebe ich in Berlin, eine verrückte Stadt mit vielen sonderbaren Exemplaren von
Männern. Carl gab mir einen Kuss auf meine Stirn und dann verschwand er.
    Ich
stand noch eine Weile im langen Flur der Kanzlei und blickte verträumt Carl
hinterher. Ich malte mir aus, wie er mit Badehose am Strand lag und einen
Cocktail in der Hand hielt. Er hatte eine Sonnenbrille auf und schaute den
jungen Mädchen in ihren knappen Bikinis hinterher. Würde Carl so etwas machen?
Hm, nein, nicht Carl. Und da erwachte ich auch schon wieder aus meiner
Träumerei. Unsanft bekam ich einen Ellenbogen von einem Kollegen ab, für den
ich wohl offensichtlich im Weg stand. „Kann ich mal durch?“, fragte er unhöflich.
Ich blickte ihn nicht an, machte nur Platz und ging langsam in Richtung Büro. Ich
wusste mehr als genau, dass vieles jetzt anders werden würde.

 
    In
mir stieg ein unbehagliches Gefühl auf, als ich kurz vor der Tür meines Büros
stand. Wo wird eigentlich diese Assistentin sitzen? Das Büro hatte nur einen
Schreibtisch und das war meiner. Wie hieß die Dame doch gleich? Sabine Plage?
Äh ne, Sabine Klage. Obwohl Plage besser passen würde. Ich atmete kurz durch
und drückte die Türklinke runter. Als ich die Tür öffnete traute ich meinen
Augen nicht. Da saß auf meinem Platz diese Plage. An meinem Schreibtisch. Auf
meinem Stuhl. Sie blickte mich arrogant an und bevor ich etwas sagen konnte zeigte
sie mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den kleinen Tisch der in einer Ecke des
Büros stand. Der Tisch, auf dem sich Akten stapelten. „Schätzchen, ich hab mal
deine Sachen zusammengeräumt, sie stehen da drüben auf dem Stuhl, in dem
Karton. Der kleine Tisch dort - das wird Ihr neuer Arbeitsplatz. Ihnen ist doch
klar, dass ich hier die 1. Assistentin bin. Carl’s Zeiten sind vorbei.“, sagte sie in einem schnippischen Ton. Ich stand
regungslos da und bekam kein Wort heraus, mir hatte es echt die Sprache
verschlagen. Mit unverständlichem Blick sah ich sie an. Hatte ich es irgendwie
nicht geahnt, dass die Dinge hier anders laufen werden wenn Carl nicht mehr da
ist? Aber gleich so schnell? Plötzlich stand Martin Schreyer neben mir. Er
streckte mir seine Hand zur Begrüßung entgegen. „Hallo, ich habe mich Ihnen
noch gar nicht persönlich vorgestellt. Ich bin Martin Schreyer, der neue Chef.
Und Sie?“ Verdattert sah ich in ein viel zu unnatürlich gebräuntes Gesicht. Blaue
stechende Augen sahen mich zurück an. Und da war wieder dieses unbehagliche
Bauchgefühl, dass jedes Mal in mir Aufstieg, wenn ich spürte dass mit meinem
Gegenüber etwas nicht stimmte. Aus reiner Höflichkeit reichte ich ihm meine
Hand zur Begrüßung entgegen, obwohl alles sich in mir sträubte ihn berühren zu
müssen. „Ich bin Alexandra Mattner . Die letzten 20
Jahre habe ich für Dr. Frederik Carl gearbeitet.“, sprach ich in einem sehr
selbstbewussten Ton und versuchte eine gerade aufrechte Haltung einzunehmen.
Nicht dass das Brathähnchen noch denkt vor ihm stehe so ein Büromäuschen. „Ach Sie
sind das. Hab schon viel von Ihnen gehört.“, antwortete er mir grinsend während
seine Blicke mich von oben bis unten musterten. „Nun, wie Sie sehen, ich habe
meine langjährige Assistentin mitgebracht. Wir sind ein eingespieltes Team. Das
werden Sie doch sicher verstehen.“ Dann zeigte er auf den kleinen Tisch und auf
den Stuhl auf dem der Karton mit meinen Sachen stand. „Dort wird Ihr neuer
Arbeitsplatz sein. Einen Computer brauchen Sie vorläufig nicht. Sie werden
Zuarbeiten für Frau Klage machen. Kaffee kochen, Kopieren, die Post holen.“ Ich
traute meinen Ohren nicht. Was soll ich bitte machen? Zuarbeiten für Frau
Klage? Nicht mal einen Computer sollte ich bekommen? Mir fehlten die Worte. Meine
Kehle schnürte sich immer mehr zu. Ich wollte protestieren. Wehr dich. Lass das
nicht mit dir machen. Dazu hatte er kein Recht. Ich war verzweifelt und
unglücklich. Aber ich nickte nur stumm. Zum ersten Mal in 20 Jahren fühlte ich
mich hilflos und wusste nicht was ich machen sollte. Eigentlich war mir klar,
dass ich schlechte Aussichten auf Erfolg hatte wenn ich mich dagegen wehren
würde. Er war der neue Chef. Und ich bin ja nur eine Angestellte. Und Carl war
nicht da. Carl saß bestimmt schon im Flieger in die Karibik. „Auf gute
Zusammenarbeit.“, sagte er laut lachend und klopfte im Vorübergehen kurz auf
den Schreibtisch von Sabine Klage. Na toll, dachte ich. Fängt ja gut
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