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Nichts

Nichts

Titel: Nichts
Autoren: Ben Louis
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Kameras mit betroffener Miene erklärt. Ich sollte mich später noch darüber wundern, wie es möglich sein konnte, dass er überhaupt so offen mit den Medien sprechen durfte. Die Vereinten Nationen hatten ihre Position der Bagatellisierung offenbar aufgegeben. Warum dies so war, erschloss sich mir zu jener Zeit noch nicht einmal im Ansatz. »Für mich ist es eine Mission«, meint er.
       »Zum Aufrütteln längst schon zu spät. Zum verändern - so wissen wir seit heute mit absoluter Sicherheit - ebenso. Es ist eindeutig zehn nach zwölf !«
       Die Präposition nach betont er in auffälliger Weise mit einer bizarren Mischung aus Befriedigung und Melancholie. So als ob er noch wanken würde sich darüber zu freuen recht behalten zu haben oder zu trauern das etwas vergangen ist. Keine Ahnung. Als Ökosystem-Experte vom Zentrum für ökologische Analysen - dem NCEAS in Santa Barbara, Kalifornien – jedenfalls war er es, dem der Auftrag für die vorgetragene Studienarbeit als Koordinator und leitender Wissenschaftler anvertraut wurde. Man kann ihm seine Affinität für den Ozean - oder das marine Ökosystem , wie es die UN heute bürokratisch nannte – buchstäblich ansehen, durch die Mattscheibe fast wittern. Der recht offensichtlich mit Widerwillen getragene Leinenanzug, vor allem aber seine sonnengegerbte, braune Haut, lassen den unrasierten, grauhaarigen Mittsechziger beinahe als Freibeuter durchgehen. Sein ganzes Leben auf Forschungsschiffen verbracht , den festen Boden unter seinen Füssen nicht annähernd so begehrend wie das von hohen Wellen gewogene Schlauchboot. Zumindest ist es augenscheinlich, dass er sich in anderen Haifischgewässern als denen der Presse durchaus wohler fühlen dürfte.
       Intuitiv kommt mir die Möwe in den Sinn!
       Mein Drang, jeder Person ein bestimmtes Tier beizufügen – quasi auf die Schulter zu setzen - lässt mich auch jetzt nicht im Stich. Bisweilen durchaus hilfreich, sich vorzustellen, welcher Kreatur ein Mensch am nächsten käme, wäre er nicht durch Zufall homo sapiens geworden. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass wir Menschen mit einigen Tieren nicht nur Charaktereigenschaften, sondern überraschend oft auch das Aussehen teilen.
       »Wir haben unsere Meere einfach vergessen. Klimawandel, Luftverschmutzung, die Zerstörung des Regenwalds… Okay, das war natürlich in aller Munde. Was aber mit unseren Ozeanen da draußen passiert, davon wollte niemand was wissen«, fährt er fort.
       »Die Situation unserer Meere ist nicht besorgniserregend sondern…«, er schaut nun das erste Mal direkt, unmittelbar in die Kamera, beinahe so, als wolle er sich bei seinen Auftraggebern entschuldigen.
       »…sie gleicht einem Inferno !«
       Die Pause die er dem Satz folgen lässt macht mir klar, dass Inferno nicht so einfach rausgerutscht ist, sondern ganz im Gegenteil von ihm mit Bedacht gewählt wurde. Er will sehen, wie die Anwesenden darauf reagieren.
       »Es ist schlimmer, als wir angenommen hatten. Im Prinzip gibt kein marines Ökosystem mehr. Unsere Studien wurden vergangene Woche mit der AAAS - der American Association for the Advancement of Science - besprochen und abgestimmt. Ebenso wurden bereits alle 192 Mitglieder der Vereinten Nationen mittels Memorandum davon in Kenntnis gesetzt .«
       Nun wird es unruhig.
       Die anwesenden Reporter und Medienvertreter drängeln, schieben, wollen ihre Mikrofone besser platzieren und werfen wild Fragen umher.
       Harper lässt sich davon nicht beeindrucken und fährt fort:
       »Wir hatten bei unserer letzten umfassenden Studie im Jahr 2009 bereits darüber berichtet, dass nur noch vier Prozent der Weltmeere halbwegs intakt sind. Sechsundneunzig Prozent standen Null-Neun bereits kurz vor dem umkippen. Aber die seinerzeit von uns entwickelte Ozeankarte wurde nicht beachtet und...«
       Da übertönt der Ruf eines Journalisten alles andere. Er ist derart laut, dass selbst Harper stutzen muss. »Werden damit die Gerüchte um den industriellen Fischfang bestätigt ?« , möchte der Reporter wissen.
       Harper schaut etwas irritiert in die Menge und versucht den Zwischenrufer in der Rotte ausfindig zu machen.
       »Hier !« ruft der Mann und streckt seinen Arm fuchtelnd in die Höhe, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
       »Werden damit die Gerüchte um den industriellen Fischfang bestätigt ?« , wiederholt er die Frage.
       »Nun…«, stammelt Harper, als er den Mann ausgemacht hat,
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