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Nichts als Knochen

Nichts als Knochen

Titel: Nichts als Knochen
Autoren: Felizitas Carmann
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Arm, der über dem dunklen Wasser des Stroms baumelte. Bruno versuchte, wieder einen klaren Blick zu bekommen, doch noch immer sah er nur flimmernde Schwärze vor seinen Augen. Er hatte vollkommen die Orientierung verloren. Ein erneuter heftiger Schmerz in seinem Herzen nahm ihm die Luft zum Atmen und raubte ihm beinahe auch die Besinnung. Er krümmte sich zusammen, und sein Oberkörper rutschte weiter nach unten. Die Plastiktüten in seiner Rechten wurden bleischwer. Aber er durfte sie nicht loslassen, sie waren alles, was er hatte! Mit der freien Linken tastete er nach unten und versuchte, die Finger durch die Griffe zu schieben, um seinen rechten Arm zu entlasten. Er musste den Schmerz in seiner Brust und die Schwärze vor seinen Augen niederkämpfen und die Tüten festhalten, auch wenn sie schwer waren, schwerer als seine Beine und seine Füße, die langsam den Kontakt zur Erde verloren.
    Dario, der bei dem Gerangel zu Boden gestürzt war, beobachtete ungläubig, wie Brunos Beine sich langsam nach oben bewegten, bis sie fast auf Höhe des Geländers waren. Er versuchte, sich aufzurappeln und den alten Mann zu erreichen, bevor er stürzte, doch es war zu spät. Bruno war wie eine Kinderwippe, nichts weiter als eine Kinderwippe auf dem Geländer der Hohenzollernbrücke, und am Kopfende saß das dickere Kind. Langsam hoben sich seine Beine noch ein Stück weiter, und das Gewicht der Plastiktüten zog an seinem Oberkörper. Er wusste nicht mehr, wo er war und was mit ihm geschah. Er wusste nur, dass er seine Tüten nicht loslassen durfte. Auf gar keinen Fall! Er streckte sich ihnen entgegen, und selbst als er fiel, hielt er sie noch fest umklammert.
    Überrascht starrte Dario auf die Stelle, an der eben noch der alte Mann gestanden hatte. Wie war das möglich?
    »Was für ein Idiot!«, murmelte er, »ich wollte doch nur mit ihm reden.«
    Er trat an das Geländer und sah hinunter. Dunkel konnte er Brunos Körper auf einem vorbeifahrenden Lastkahn ausmachen. Einige Sekunden später kam das Heck des Kahns unter der Brücke hervor, und er konnte zwei Männer erkennen. Der eine zeigte nach oben auf Dario.
    Rasch trat er einen Schritt zurück. Es war wohl besser, wenn er schnellstens von hier verschwand. Ohne sich noch mal umzusehen, eilte er zurück Richtung Dom.

Dolmetscher gesucht
    R ebecca träumte von Glocken, die sanft und verheißungsvoll läuteten. Da stand Krishna im Sonnenschein und lachte sie an, und überall war dieses süße Glockengeläute.
    »Rebecca, jetzt wach endlich auf! Dein Handy nervt schon seit fast einer Minute!«
    Sie blinzelte zwischen den Wimpern hindurch und konnte in der Dunkelheit nur Krishnas Silhouette erkennen, die sich über sie beugte und mit der Hand unsanft an ihrer Schulter rüttelte.
    ›Plopp‹ machte der süße Traum, als er endgültig platzte und Rebecca den Weg in die Wirklichkeit fand. Mit einiger Anstrengung wühlte sie sich aus der Bettdecke heraus und robbte zu ihrem Diensthandy, das unter einem Kleiderhaufen immer noch fröhlich vor sich hin trällerte. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es gerade erst zwei war. Sie hatte noch keine zwei Stunden geschlafen. Sie hasste es, aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden, und deshalb hasste sie den Bereitschaftsdienst. Immer passierte ihr das! Keinem von den anderen, nur sie wurde immer mitten in der Nacht geweckt.
    »Ja?«, sagte sie leise in das Mikrofon, nachdem sie den Rufknopf gedrückt hatte.
    Schweigend hörte sie eine Weile zu.
    »Wo genau?«, fragte sie dann, kämpfte sich in die Vertikale und ging hinüber zu dem kleinen Schreibtisch, wo sie Stift und Zettel fand.
    »Hm … hm … okay, ich bin in 'ner halben Stunde da.«
    Sie gähnte lange und rieb sich ein paar Mal mit den Händen über das Gesicht. Dann drehte sie sich zum Bett um und wollte Krishna erklären, dass sie noch mal weg musste. Noch bevor sie Luft geholt hatte, stellte sie erstaunt fest, dass er tief und fest schlief. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig, und leise Schnarchgeräusche drangen aus seiner Nase. Garfield, der die Gelegenheit ergriffen hatte, um sich an Rebeccas Stelle in Krishnas Armbeuge zu kuscheln, stimmte mit begeistertem Schnurren ein und blinzelte sie verschlafen an. Kopfschüttelnd griff Rebecca nach ihren Kleidern und ging ins Badezimmer.
    Eine halbe Stunde später fuhr sie die Rheinuferstraße in Richtung Norden. Kurz vor dem Rheinauhafen sah sie rechts die Blaulichter. Das ganze Aufgebot war schon da und hatte das
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