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Nichts als Knochen

Nichts als Knochen

Titel: Nichts als Knochen
Autoren: Felizitas Carmann
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wusste, welchen.
    Mit leicht zusammengekniffenen Augen beobachtete er die Menschen, die über den Petersplatz gingen, und versuchte sich seine Zukunft dort draußen vorzustellen. Was würde das Leben für ihn bereithalten? Was war sein Schicksal? Die Antwort auf die zweite Frage schien in diesem Augenblick in Gestalt von Prälat Schiavo auf ihn zuzukommen, der gerade mit raschen Schritten den Petersplatz überquerte und grüßend die Hand hob, als er Dario erblickte.
    ›Warum muss der Junge einen nur immer mit seinem Blick durchbohren?‹, fragte sich der Prälat missbilligend, während er lächelnd auf Dario zukam.
    Schiavo kannte Dario schon seit dessen Geburt. Als junger Mann war er für einige Jahre Priester einer kleinen Gemeinde am Rande der Walliser Alpen gewesen. Hier, in dem engen, abgelegenen Gebirgstal kurz vor der schweizerischen Grenze und ein gutes Stück von den Touristenströmen des Lago Maggiore entfernt, schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Menschen lebten wie vor fünfzig Jahren, dachten wie vor fünfzig Jahren und urteilten wie vor fünfzig Jahren. Darios Mutter war damals eine junge, unverheiratete Frau und aktives Mitglied in Schiavos Gemeinde. Als sie schwanger wurde und weder ans Heiraten dachte noch daran, den Namen des Vaters preiszugeben, setzte sie sich vielen Anfeindungen im Dorf aus. Sie wurde so etwas wie eine Aussätzige, und kein Mensch wollte etwas mit ihr und ihrem Kind zu tun haben. Nur Schiavo kümmerte sich um die beiden. Doch zwei Jahre später hatte Darios Mutter genug. Sie siedelte auf die andere Seite der Grenze in die Schweiz um und begann dort ein neues Leben. Trotzdem riss der Kontakt zu Schiavo nicht ab. Er besuchte die beiden regelmäßig und sorgte dafür, dass Dario in einem nahe gelegenen Benediktinerkloster Erziehung und Ausbildung genoss.
    Vor drei Jahren dann, als Dario gerade zwanzig war, starb seine Mutter, und dies schien ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Er verlor den Halt, drohte auf die schiefe Bahn zu geraten, und einmal mehr erwies sich Schiavo als eine Art Schutzengel für ihn. Er nutzte seine Verbindungen in Rom und besorgte ihm einen Posten bei der Schweizergarde. Jetzt, am Ende seiner zweijährigen Dienstzeit, hatte Dario sein Leben wieder im Griff und war Schiavo zu tiefstem Dank verpflichtet. Dies, ebenso wie die Tatsache, dass er ein ausgesprochen skrupelloser junger Mann war und einen Großteil seines Lebens in einem Benediktinerkloster verbracht hatte, machte ihn zu einem idealen Kandidaten für Schiavos Pläne.
    »Dario! Mein Junge! Wie geht es dir?«
    Schiavo trat mit breitem Lächeln und ausgestrecktem Arm auf den jungen Hellebardier zu. Dario ergriff die ihm dargebotene Hand, ohne das Lächeln zu erwidern.
    »Danke, gut«, antwortete er knapp.
    »Na, prächtig!«
    Schiavo hielt sein Lächeln konstant bei.
    »Du hast sicher schon eine Menge Pläne für die Zeit nach deinem Dienst bei der Garde, schätze ich. Und genau darüber wollte ich gerne mal mit dir sprechen.«
    Dario warf dem Prälaten einen abschätzenden Blick zu und nickte dann zögernd.
    »Schön«, fuhr Schiavo sichtlich erleichtert fort, »wie wäre es, wenn wir uns heute im ›Papa Leone‹ treffen, wenn du Dienstschluss hast?«
    Dario nickte erneut.
    »Einverstanden. Um sieben habe ich frei.«
    »Na, wunderbar. Dann bis heute Abend.«
    Nachdenklich folgte Darios Blick dem Prälaten, der sich rasch entfernte.
    »Verstehst du jetzt, Dario, warum dies so ausgesprochen wichtig für die katholische Kirche ist?«
    Schiavo sah den jungen Mann beschwörend über den kleinen Tisch hinweg an. Die Geräuschkulisse des gemütlichen, gut besuchten Restaurants drang gedämpft zu der Nische herüber, in der ihr Tisch stand. Dario schob sich eine schwarze Olive in den Mund, kaute lange, bevor er sie hinunterschluckte, und wandte sich dann mit einem kleinen, provozierenden Lächeln an sein Gegenüber.
    »Sicher, Monsignore.«
    Schiavo zuckte leicht zusammen. Aus Darios Mund klang das Wort immer irgendwie höhnisch. Einen Augenblick lang war er verunsichert, wie so oft in Darios Gegenwart, dann fasste er sich wieder und legte dem jungen Mann eine Hand auf den Arm.
    »Bist du bereit, die Aufgabe zu übernehmen, um Schaden von unserer Mutter Kirche abzuwenden?«
    Dario sah auf die Hand des Prälaten hinunter, zog dann langsam die Arme von der Tischplatte, bis Schiavo ihn losließ, und sah ihn mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck an.
    »Sie können sich auf mich verlassen. Wenn
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