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Nichts als Knochen

Nichts als Knochen

Titel: Nichts als Knochen
Autoren: Felizitas Carmann
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befand. Die Stoffteile, die darin lagen, glichen denen aus dem Dreikönigenraum, waren jedoch wesentlich größer. Vorsichtig hob Pater Herlinger eine Ecke des gelben Stoffes an und ließ seinen Daumen tastend darüber gleiten.
    »Fühlen Sie nur, Bruder Giordano, wie wundervoll sich dieses uralte Gewebe immer noch anfühlt. Und bedenken Sie, dass hierin die Gebeine der Heiligen Drei Könige eingewickelt waren. Zumindest glauben wir das.«
    Dario warf dem Pater einen schnellen Blick zu, bevor er sich dem schimmernden Seidenstoff zuwandte und die Fingerspitzen sanft darüber gleiten ließ. Langsam schloss er die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Berührung des Stoffes. Er versuchte, die Struktur des Damastmusters mit den Fingern zu ertasten, hatte jedoch einige Mühe, der Zartheit des Gewebes nachzuspüren. Pater Herlinger beobachtete ihn lächelnd.
    »Wundervoll, nicht wahr, Bruder?«
    Dario nickte und fuhr fort, den Stoff mit dem Tastsinn zu erforschen.
    »Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass diese Ehre hier nur wenigen zuteil wird. Daher haben wir uns zu weitgehender Geheimhaltung verpflichtet. Jeder darf nur einem anderen verschwiegenen Mitglied des Klerus davon erzählen. So ist es bisher nur einer kleinen Gruppe gewährt worden, die Stoffe zu berühren.« Pater Herlinger lächelte Dario wohlwollend zu. »Ich freue mich, dass Prälat Schiavo einen so jungen Bruder für würdig befunden hat.«
    Dario nickte und lächelte zurück. »Ja, ich freue mich auch.«
    Der Pater warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr und hob entschuldigend die Schultern.
    »Ich fürchte, Sie werden sich jetzt trennen müssen. Es ist Zeit.«
    Dario ließ seinen Blick und seine Fingerspitzen noch einmal über die Stoffteile gleiten und wandte sich dann zur Tür.
    Als sie kurz darauf wieder in den Dom zurückkamen, hörten sie ein Geräusch aus der Richtung des Hauptportals. Sie wandten die Köpfe und konnten gerade noch einen langhaarigen Mann zur Tür herausschlüpfen sehen. Über seinem Rücken hing eine orangefarbene zusammengerollte Isomatte, und in den Händen trug er mehrere Plastiktüten.
    »Oh, da hab ich wohl vergessen, die Tür wieder abzuschließen, als wir hereingekommen sind.« Pater Herlinger schüttelte seufzend den Kopf. »Dann will ich mal lieber noch eine Runde durch den Dom drehen und nachsehen, ob sich sonst noch jemand eingeschlichen hat.«
    »Pater«, begann Dario mit einem gehetzten Blick zum Hauptportal, »ich würde gerne noch einen kleinen Abendspaziergang an der frischen Luft machen. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich mich jetzt schon mal von Ihnen verabschieden und Ihnen für Ihre außergewöhnliche Führung danken.«
    »Aber sicher, gehen Sie nur, und besuchen Sie uns mal wieder. Sie sind stets willkommen. Aber nicht vergessen: Sie dürfen nur einer weiteren verschwiegenen Person von der Kammer erzählen!«
    Sie gaben sich ernst die Hand. Dann verließ Dario eilig den Dom.
    Draußen auf der Domplatte sah er sich suchend um, doch er konnte den Mann nicht entdecken. Leise fluchend ging er ein Stück Richtung Hohe Straße und sah sich nochmals um. Wer war der Mann, und was hatte er alles mitbekommen? Es wäre wirklich besser, wenn er das herausbekommen würde. Plötzlich sah er hinter dem Domhotel einen orangefarbenen Fleck, der sich Richtung Römisch-Germanisches Museum bewegte. Dario eilte mit wehenden Gewändern hinterher.
    Bruno hatte das Römisch-Germanische Museum erreicht und ging auf die überdachte Stelle zu, an der häufig ein paar Obdachlose ihr Lager aufgeschlagen hatten.
    »Lurens, do es ja unser Ministrant!«, rief einer von ihnen, als er Bruno erblickte. »Na, Bruno, ich denk, du wolltest heut bei deinem Herrjott nächtijen. Hadder dich etwa rusjeschmisse?«
    Grölendes Gelächter schlug Bruno entgegen. Missmutig setzte er ein paar seiner Plastiktüten auf die Erde und rieb sich mit der freien Hand die Schläfe. Er hatte Kopfschmerzen, war durstig und müde. Er hatte jetzt eigentlich keine Lust, sich von diesen Idioten blöde anmachen zu lassen. Aber vielleicht hatten sie ja noch was zu trinken. Seine Zunge schien dick an seinem Gaumen zu kleben, und er schielte nach der Rotweinflasche, die der dicke Paul zwischen seinen Oberschenkeln festgeklemmt hatte. Er zwang sich, seinen Blick auf Gerhard zu richten, der ihn eben angesprochen hatte. Langsam schüttelte er den Kopf und antwortete in seiner merkwürdig nuschelnden Sprechweise: »War nit der Herrjott, war der falsche Mönch. Der
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