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Nichts als Knochen

Nichts als Knochen

Titel: Nichts als Knochen
Autoren: Felizitas Carmann
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Umklammerung seiner schwarzen Flocke zu befreien.
    »Lassen Sie mich Ihnen helfen, Bruder Giordano«, sagte Pater Herlinger, während er hinter Dario trat und mit geschickten Fingern die Kapuze unter dem Überkleid hervorzog. »Manchmal hat man halt so seine Last mit dem Habit, nicht wahr?«
    Dario nickte mit einem flüchtigen Lächeln und fragte sich insgeheim, ob er sich wohl bis ans Ende seiner Mission an den Namen ›Bruder Giordano‹ gewöhnt haben würde.
    »Der Kardinal hat mich gebeten, Ihnen unseren schönen Dom und die Kostbarkeiten der Domschatzkammer zu zeigen, und da Sie ja leider vorhaben, die Stadt morgen schon wieder zu verlassen, müssen wir uns halt sputen. Aber um diese Zeit sind wir zumindest ungestört, das hat schließlich auch Vorteile.«
    Fröhlich plaudernd und, trotz der Flasche Barolo, sicheren Fußes ging Pater Herlinger voran, und Dario folgte ihm die Komödienstraße entlang.
    »Sie sind noch recht jung für einen Mönch, nicht wahr, Bruder Giordano?«
    »Ich bin älter, als ich aussehe«, antwortete Dario rasch, »im Sommer werde ich siebenundzwanzig, und ich habe mich schon sehr früh für meinen Weg entschieden.« Er hoffte, dass er die vier dazugeschummelten Jahre überzeugend kaschieren konnte.
    Pater Herlinger lächelte freundlich, während er weiter kräftig ausschritt. »Nachwuchs! Das ist es, was diese Kirche dringend braucht. Junge, entschlossene Männer wie Sie, die ihr Leben voll und ganz Gott widmen wollen.«
    Dario gab ein leicht gequältes Lächeln zurück und war froh, dass sie die Stufen der Domplatte erreicht hatten und sich nun rasch zwischen den immer noch flanierenden Passanten hindurch auf die Kathedrale zubewegten.
    »Ich muss noch die Lichter innen anmachen, sonst werden wir nicht viel sehen«, sagte Pater Herlinger, als sie den Dom fast erreicht hatten.
    Dario nickte und sah nach oben in den nachtschwarzen, wolkenlosen Himmel, an dem gerade die ersten Sterne aufgingen.
    Bruno riss abrupt die Augen auf und blinzelte. Warum waren die Lichter angegangen? Nach der halben Flasche Korn war er gerade dabei gewesen, in selige Träume zu sinken, als die plötzliche Helligkeit seine geschlossenen Lider durchdrang. Er lauschte einige Sekunden lang angestrengt. Wurde da nicht eine Tür geöffnet? Das waren doch leise Stimmen, die vom Hauptportal herüberdrangen. Brunos Schlafstatt lag gut versteckt hinter einer der gewaltigen Säulen im linken Seitenflügel. So vorsichtig, wie es ihm mit zweieinhalb Promille möglich war, erhob er sich auf alle viere und lugte hinter der Säule hervor.
    Da waren zwei Männer im Hauptschiff, ein Priester und ein Mönch, ein Benediktiner, wenn er sich nicht sehr täuschte. Sie bewegten sich gemächlichen Schrittes vorwärts, während der Priester unaufhörlich nach links und rechts wies und leise Erklärungen abgab. Langsam zog Bruno sich zurück. Er musste sich verstecken, und er wusste auch schon, wo. Rasch lief er in gebückter Haltung auf eine mit einem Geländer versehene Steintreppe zu, die mehrere Meter tief hinunter führte. Das Ende des Treppenschachtes war trotz der Beleuchtung im Dom in tiefes Dunkel getaucht, und sicherheitshalber trat Bruno noch in die kleine Nische vor einer versperrten Tür, die sich an der rechten Seite befand. Hier wartete er lauschend und mit klopfendem Herzen. Er hörte die Schritte und die Stimmen näher kommen. Jetzt konnte er einzelne Worte unterscheiden. Die beiden schienen nur wenige Meter vor seinem Versteck stehen geblieben zu sein.
    »Ihre Ausführungen sind wirklich überaus interessant, Pater. Aber was mich am meisten interessiert, ist natürlich das Schmuckstück des Doms und alles, was damit zusammenhängt.«
    Darios Gesicht hatte jetzt einen lauernden Ausdruck angenommen, den er nur schwer verbergen konnte. Bruno lugte aus seinem Versteck hervor und beobachtete die beiden genau.
    »Oh, ja, sicher, sicher, Bruder Giordano. Sie wollen den Schrein sehen. Ich verstehe.«
    »Nicht nur den, hoffe ich.«
    In Darios Augen glitzerte es merkwürdig, und auch dies entging Bruno nicht.
    »Ich verstehe nicht ganz …«
    Pater Herlinger hob fragend die Brauen und sah Dario in die verwirrenden Augen.
    »Nun, ich meine, das Wundervollste am Dreikönigenschrein ist gar nicht der Schrein selbst, sondern das, was er verbirgt.« Dario wartete einige Sekunden, bis er sich sicher war, dass sein Gegenüber verstanden hatte, und fuhr dann fort.
    »Ich meine, wir beide wissen doch, dass der Dom Geheimnisse des
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